Arbeitskräftemangel – was tun?
- Veröffentlicht am
Nahezu jede Branche schreit nach Personal. Wir befinden uns in einem harten Wettbewerb. Headhunter (zu deutsch Kopfjäger!) vermitteln längst nicht mehr nur Führungskräfte. Heute gewinnt man einen neuen Mitarbeitenden und morgen geht einer verloren. Vielleicht mag es einzelnen Betrieben gelingen, sich in diesem Wettbewerb mehr auf der Gewinnerseite zu platzieren, aber lösen lässt sich damit das Problem weder für eine Branche noch für die Gesamtwirtschaft.
Arbeitskräftemangel ist kein neues Phänomen. Bereits in der DDR gab es zu wenige Mitarbeitende. Der Lösungsversuch war, wie bei uns heute, die Gewinnung von Personal in anderen Ländern, seinerzeit zum Beispiel in Vietnam. Wenn wir auf diese Zeit blicken, so ist unser Urteil über den Osten Deutschlands vor 1990 schnell gefällt: Hätte man besser strukturiert und sich effektiver und moderner aufgestellt, so wäre die anstehende Arbeit doch problemlos zu packen gewesen.
Natürlich ist die Situation heute in unserer Bundesrepublik eine ganz andere, werden jetzt viele behaupten. Wirklich? Wie viel zigtausende Beschäftigte gibt es in unseren Steuerberatungsbüros? Hinzu zählen wir den Großteil der Beschäftigten in den Finanzämtern. Welche gesellschaftliche Aufgabe hat diese Berufsgruppe? Sie gewährleistet, dass wir unsere Abgaben und Steuern in korrekter Weise entrichten. Ein verständlicheres, einfacheres Steuerrecht könnte den dortigen Arbeitskräftemangel innerhalb kürzester Zeit beheben. Obendrauf hätten wir vermutlich noch Personal frei für gesellschaftlich sinnvollere Tätigkeiten. Zudem würden sich unsere Kosten vielleicht nicht für Steuern, aber für das Drumherum wie Steuererklärungen reduzieren.
Auch das Gesundheitswesen leidet unter Arbeitskräftemangel. Zukünftig noch dramatischer wird es, wenn wir selbst ins Alter kommen und Pflege oder Betreuung benötigen. Wie viele Beschäftigte leisten diese wertvolle Arbeit mit einem weißen Kittel in einer Praxis, dem Krankenhaus oder einem Seniorenwohnheim und welche Anzahl ist in der Verwaltung, beispielsweise bei den Krankenkassen und den diversen Abrechnungsstellen beschäftigt? Ein teures Bürokratiemonster, von dem kaum einer spricht und das Personal bindet, welches wir nah am Menschen dringend benötigen.
Wenn wir in unsere kommunalen Verwaltungen blicken, so ergibt sich ein ähnliches Bild. Derzeit wird unser Kreishaus erheblich erweitert, vor wenigen Jahren erhielt unser Rathaus einen Anbau. Alle sprechen von Deregulierung und Bürokratieabbau. Das Gegenteil ist der Fall. Wir erlauben uns eine Struktur, die wir uns weder leisten können, noch ist dafür Personal vorhanden. Wertvolle Fachkräfte werden aus ärmeren Ländern angeworben, die dort ebenso dringend benötigt werden. Und das nur, weil wir nicht willens sind, Veränderungen vorzunehmen.
Ausbildung wertschätzen
Noch vor wenigen Jahrzehnten befand sich der Großteil der jungen Menschen spätestens mit 18 Jahren in der Ausbildung. Eine kleinere Anzahl stand vor der Abiturprüfung, um im Anschluss zu studieren. Heute ist es eine Minderheit, die nach dem Haupt- oder Realschulabschluss direkt eine Ausbildung beginnt. Das Angebot weiterführender Schulen ist groß. Führt dieses tatsächlich weiter und wenn ja wohin? Warum ist für viele heute eine Ausbildung weniger wert als ein Schulbesuch? Wir binden Lehrkräfte, verursachen Kosten und erzeugen Arbeitskräftemangel. Wäre es nicht besser, nach einer Ausbildung gezielte weitere Qualifizierungsangebote anzubieten? Und wenn jemand feststellt, dass es ein anderes Berufsfeld sein soll, der hat stets die Möglichkeit einer zweiten Ausbildung.
Fazit: Wir haben vergleichbare Probleme wie seinerzeit in der DDR und packen sie ebenfalls nicht an deren Wurzeln an. Ob Sie dieser steilen These folgen oder bereits in Zornesröte zum Protest ausholen, eines ist auch mir klar: So schnell wird sich an den aufgezeigten Punkten nichts ändern. Denn wir erleben diesbezüglich noch nicht einmal eine gesellschaftliche Diskussion. Stattdessen sprechen wir über die Vier-Tage-Woche.
Bei betrieblicher Effizienz ist weiterhin Luft nach oben
Genug über andere geschimpft. Schauen wir uns jetzt vor der eigenen Haustür im Gartenbau um: Was waren 2020 und 2021 für großartige Jahre? Die Pflanzen wurden uns aus den Händen gerissen und die Kasse stimmte. Warum? Weil wir keine oder kaum Überhänge hatten. Natürlich gab es auch in diesen beiden Jahren Arbeitskräftemangel. Aber wie viel entspannter ginge es in unseren Betrieben zu, wenn wir nicht 10, 20 oder noch mehr Prozent unserer Produktion vernichten würden, die Mehrarbeit bedeuten und die Renditen auffressen. Ist es nicht ratsamer, irgendwann dem Kunden „ausverkauft" zu vermelden, statt mit großem Risiko noch einen Satz zu topfen, der dann nicht mehr am Markt benötigt wird? Wir kennen alle die Unwägbarkeiten der Pflanzenvermarktung. Warum sind wir dennoch bei den Produktionsmengen stets so optimistisch?
Welche langen (Um-) Wege nehmen unsere Pflanzen, um letztlich im Garten aufzublühen? Und welche Kosten und welcher Arbeitskräfteeinsatz ist damit verbunden? Großmärkte haben bekanntlich heute nicht mehr die Bedeutung früherer Zeiten. Hier erleben wir bereits Veränderungen, um Zeit und Aufwand zu reduzieren. Schlanke Vermarktungsstrukturen und direkte Wege werden an Bedeutung gewinnen. Steigende Vertriebs- und Transportkosten lehren uns, neu zu denken.
Über 50 % unserer Arbeitszeit verbringen wir in unserem Betrieb mit den letzten beiden Tagen der Pflanze bei uns. Also mit der Vermarktung im Büro, dem Einpacken im Quartier, der versandfertigen Aufbereitung und der Auslieferung an unsere weitgehend regionalen Kunden. Ein hoher Anteil, weil wir unser großes Sortiment in kleinen Stückzahlen (oft unter zehn Stück pro Position) verkaufen. Dementsprechend haben wir in diesem Bereich stetig optimiert. Früher reichte kaum eine Faxleitung für die zahllosen Seiten der Bestellformulare, die später zeitintensiv in unser System eingepflegt wurden. Heute nutzt der Großteil unserer Kunden die digitalen Bestellformate. Welch eine Arbeitseinsparung! Ebenso wird permanent an der Versandlogistik gefeilt. Scanner wurden angeschafft und vieles mehr.
Weniger hatten wir den Blick auf die Produktionsverfahren gerichtet, jedoch immerhin auf breite Wege und kurze Beetlängen geachtet. Bei der Topf- und nachfolgenden Transporttechnik besteht allerdings dringender Nachholbedarf. Es geht nicht nur darum, den Arbeitskräftebedarf zu reduzieren, sondern ebenso die körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten zu verringern. In welchem Bereich auch immer, wir erkennen bei Betriebsbesichtigungen sehr schnell, wo der Kollege seine Optimierungspotenziale hat. Nur daheim schauen wir darüber allzu gerne hinweg.
Am deutlichsten wird diese These, wenn wir uns die Anzahl der arbeitswirtschaftlichen Berater im Gartenbau ansehen. Nicht einmal eine Handvoll sind in unserer Branche tätig. Weil wir bereits alles wissen, weil wir es wirtschaftlich nicht nötig haben oder weil wir uns ertappt fühlen, wenn man uns aufzeigt, was alles im Betrieb besser laufen könnte? Wir investieren sechsstellige Beträge in Technik, ohne zu hinterfragen, ob dies tatsächlich die sinnvollste Investition ist. Bewegungsabläufe, Organisationsstrukturen, Arbeitsplatzeinrichtungen, also die kleinen Dinge des Arbeitsalltages beleuchten wir kaum, obwohl alle Expert en hier großes Einsparpotenzial sehen.
„Not macht erfinderisch", heißt es in einem Zitat. Wohlstand hingegen träge, auch beim Denken. Vielleicht geht es uns noch zu gut, um andere Lösungswege beim Thema Personalmangel zumindest zu diskutieren.
Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Artikel kommentierenSchreiben Sie den ersten Kommentar.