
Bei Reklamation offenbart sich der Charakter
Das Thema Reklamationen kennen wir Gärtner aus beiden Perspektiven. Heute ärgern wir uns über Jungpflanzen, die nicht unseren Erwartungen entsprechen. Morgen meldet sich ein Kunde, dem gleiches mit unseren Pflanzen widerfahren ist.
von Jens Schachtschneider, Neerstadt erschienen am 01.05.2025Sehr gut erinnere ich mich an eine Reklamation vor etwa 25 Jahren eines guten Kunden des GaLaBaus. Wir hatten eine Sorte zugekauft, da unser Bestand geräumt war. Leider erhielten wir eine für uns auf den ersten Blick nicht erkennbare, andere Sorte. Der Kunde hatte diese Pflanze in mehreren Gärten gepflanzt. Es war nicht die gewünschte, sterile Staude, sondern eine andere, die sich jetzt erheblich in den Gärten versamte. Er war entsprechend unzufrieden und erwartete nicht nur eine Ersatzlieferung, sondern auch die Übernahme der Kosten für den Austausch der Pflanzen. Sollte ich auf unsere Geschäftsbedingungen verweisen und nur den Warenwert ersetzen oder die durchaus berechtigte Erwartung erfüllen? Ich entschied mich für die Übernahme aller Kosten. Letztlich geht es vorrangig um Fairness und weniger um irgendwo kleingedruckte Zeilen. Es kann ja nicht sein, dass jemandem finanzielle Nachteile entstehen, für welche dieser keinerlei Verantwortung trägt. Auch in der Nachbetrachtung war dies eine kaufmännisch richtige Entscheidung. Denn es hat unsere Geschäftsbeziehung gestärkt.
Was aber tun, wenn der Kunde etwas reklamiert, an dem wir keinerlei Schuld tragen? Wenn „unkaputtbare“ Waldsteinia beanstandet werden, weil sie vermutlich nicht gewässert wurden und somit vor dem Anwurzeln vertrocknet sind. Der Landschaftsgärtner wird seitens des Privatkunden mit einer Ersatzforderung konfrontiert und dieser möchte es nun an seinen Vorlieferanten weiterreichen. Sind es nur ein paar Pflanzen und damit ein überschaubarer Betrag, dann lohnt jegliche Aufregung kaum und man gibt die Kiste gratis mit. Wird daraus jedoch eine Gewohnheit, so ist bald eine innere Schmerzgrenze erreicht.
Ich kenne Landschaftsgärtner, die Kunden ablehnen oder einen „Sicherheits-Aufschlag“ einkalkulieren, wenn sie dessen Beruf erfahren. Angebliche Mängel werden reklamiert, die objektiv betrachtet nicht nachvollziehbar sind. Oder bei der Schlussrechnung wird folgende Aussagen getätigt: „Wenn wir uns auf 3 % Nachlass verständigen, so verzichte ich darauf, mich auf die Suche von Mängeln zu begeben.“ Überspitzt und sehr pauschal könnte man nach der einen oder anderen Erfahrung formulieren: Steigt der Bildungsstand, so sinkt der Anstand. Ausdrücklich festgestellt sei: Es gibt ebenso viele Menschen, die beim Klettern auf der Karriereleiter charakterfest bleiben.
In den letzten Jahren hat sich die Qualität der Jungpflanzenlieferanten deutlich verbessert. Vor 25 Jahren war dieses noch nicht der Fall und es wurde auch zweifelhafte Ware ausgeliefert. Teilweise kamen die Jungpflanzen zudem viele Wochen später als vereinbart. „Topf die Pflanzen, Du brauchst auch nur jene bezahlen, die anwachsen“, war eine wiederholte Aussage. Anfangs haben wir uns darauf eingelassen, später jedoch abgelehnt. Denn wer bezahlt mir den Aufwand für nicht gewachsene Stauden, also Substrat, Töpfe und Arbeitszeit?
Ich mag die sympathische, lockere Art unserer niederländischen Berufskollegen. Während bei uns deutschen Gärtnern die Nähe zur Landwirtschaft und damit zum Jammern neigende Eigenschaften vielfach nicht zu leugnen sind, zeichnet den Menschen aus unserem westlichen Nachbarland ein positives Naturell aus. Jedoch kann die Stimmung schnell kippen. Wiederholt erhielten wir von dort Jungpflanzen, die sich später als nicht sortenecht herausstellten. Welch ein Ärgernis, zumal viele Pflanzen (z. B. Iris) bei uns während der Kulturzeit nicht zur Blüte kommen und erst in den Gärten des Kunden dann unerwünscht farbenfroh aufblühen. Wenn dann noch argumentiert wird: „diese Sorte ist doch auch herrlich“, verspüre ich Puls und meine eigentlich weitgefasste Grenze des Humors ist überschritten.
„Ohne vorherige Abstimmung unter falschen Namen bewusst etwas völlig anderes liefern – das geht nicht!“ Jens Schachtschneider
Wir haben einige Jahre gebraucht, um jene Lieferanten herauszufiltern, die sich auf unsere Sensibilität bei diesem Thema eingestellt haben. Natürlich geht auch bei uns mal etwas schief und ein Mitarbeitender greift versehentlich in den Bestand der Nachbarsorte. Aber ohne vorherige Abstimmung unter falschen Namen bewusst etwas völlig anderes liefern – das geht nicht! Und wer sich dann noch windet, der hat sich als Lieferant disqualifiziert.
Von Kollegen höre ich immer wieder von Großkunden, die ihre Position schamlos ausnutzen. Zunächst werden für die Saison bedeutsame Partien geordert. Wenn das Wetter nicht mitspielt oder der Artikel weniger gut läuft, wird diese Ware nicht in der bestellten Menge abrufen. „Wir benötigen die Partie nicht mehr, wir geben sie frei“ heißt es dann auf Nachfrage. Aber an wen soll der Produzent jetzt die bereits auf- oder gar verblühte Ware vermarkten? Es geht sogar noch frecher: Petunien und Geranien werden pünktlich zum vereinbarten Termin in der abgestimmten Qualität geliefert, leider sind jedoch Frostnächte angekündigt und die Ware fließt nicht ab. Der Einkäufer wälzt die Situation auf den Lieferanten ab, indem er so lange um die Lieferung läuft, bis er endlich eine Laus entdeckt, um die gesamte Partie zurückzusenden. Die Wut des Lieferanten ist entsprechend. Was aber tun, wenn man mit diesem Kunden 30 % seines Jahresumsatzes bestreitet?
Auf einer Festrede im letzten Herbst formulierte ich folgenden Satz: „Lieferanten geben uns eine Chance, die Fairness und Freundlichkeit vorzuleben, die wir uns seitens der Kunden wünschen.“ Etwas später folgte in tiefer Überzeugung: „Wir haben die besten Kunden der Welt. Inhabergeführte Familienbetriebe, hier gilt noch das gesprochene Wort.“ Wie heißt es doch so treffend: „Was du nicht willst, dass man dir tu‘, das füg auch keinem andern zu!“
Leider werden heute vielfach die Ellenbogen weit ausgefahren. Der eigene Vorteil steht im Mittelpunkt des Handelns. Die Situation des anderen interessiert kaum noch. Die große Politik lebt es uns in grausamer Weise vor. Dabei schreckt man nicht einmal vor körperlichem Leid oder gar Tod zurück, wenn es eigene Vorteile verspricht. Die werteorientierte Politik ist auf dem Rückzug, die Kraft des Stärkeren dominiert gegenwärtig das Weltgeschehen. Die Beachtung unterschiedlicher Interessen in den vielfältigen Themenfeldern ist uns in Deutschland nicht nur lieb, sondern auch teuer. Dieses führt international zu Wettbewerbsnachteilen. Eine mehr als schwierige Situation für eine Exportnation, insbesondere wenn zudem im eigenen Land Parteien ebenfalls radikale Thesen vertreten.
„Der wahre Charakter zeigt sich dann, wenn man sich selbst in einer vermeintlich stärkeren Position befindet“ Jens Schachtschneider
Wir stellen fest: Beim Thema Reklamationen zeigt sich unsere Aufrichtigkeit neben weiteren menschlichen Werten. Leben wir gemäß dem Prinzip „Wenn jeder an sich denkt, so ist an jeden gedacht.“ Oder stehen wir zu einem Fairplay „Leben und leben lassen“. Der wahre Charakter zeigt sich dann, wenn man sich selbst in einer vermeintlich stärkeren Position befindet. Leider gibt es Menschen, die keine Hemmungen kennen, Abhängigkeiten zum eigenen Vorteil auszunutzen. Daher gilt es im Unternehmen auch bei der Kundenstruktur breit aufgestellt zu sein. Gut erinnere ich mich an die Frage eines Mitarbeiters: „Brauchen wir diesen Kunden wirklich?“, als in einem zum Glück seltenen Einzelfall dieser uns immer wieder mit völlig haltlosen Forderungen konfrontierte. Mögen wir alle stets diese Frage mit „Nein“ beantworten können.
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