
Anbausystem zwischen Öko und konventionell verheißungsvoll
Sogenannte NOcsPS-Anbausysteme funktionieren frei von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln, aber mit Mineraldünger. Sie könnten ein Agrarsystem der Zukunft sein.
von Stuhlemmer/Uni Hohenheim erschienen am 10.09.2024Auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel verzichten und trotzdem die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichenden und bezahlbaren Nahrungsmitteln gewährleisten: Wie dies gelingen kann, erproben Forschende im Verbundprojekt „Nachhaltigere Landwirtschaft 4.0 Ohne chemisch-synthetischen PflanzenSchutz“ (NOcsPS) unter Leitung der Universität Hohenheim gemeinsam mit dem Julius Kühn-Institut (JKI) und der Universität Göttingen.
Ein großangelegter Feldversuch unter Leitung der Universität Hohenheim in Stuttgart gemeinsam mit dem JKI demonstriert, dass relativ hohe Erträge und eine gute Produktqualität auch ohne chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel erreicht werden können. Dabei spielt der gezielte Einsatz von Mineraldünger zur Stickstoffversorgung eine entscheidende Rolle. Gleiches gilt für fortschrittliche Robotik, künstliche Intelligenz sowie biologischen Prinzipien folgende Agrartechnologien.
„Die NOcsPS-Anbausysteme stellen eine komplette Neuorientierung in der landwirtschaftlichen Produktion dar. Sie vereinen die Vorteile von konventioneller und ökologischer Landwirtschaft, minimieren jedoch deren jeweiligen Nachteile“, erklärt der Sprecher des Forschungsprojektes Prof. Dr. Enno Bahrs von der Universität Hohenheim.
Erste Ergebnisse der Feldversuche: Unterschiedliche Erträge je nach Standort
Dass solche NOcsPS-Systeme tatsächlich ein hohes Potenzial haben zur Entwicklung widerstandsfähiger und nachhaltiger Anbausysteme beizutragen, zeigen erste Ergebnisse eines landwirtschaftlichen Feldversuchs. Seit Herbst 2019 wurden an zwei Standorten in Deutschland – an der Universität Hohenheim in Baden-Württemberg und beim Projektpartner JKI in Dahnsdorf, Brandenburg – großangelegte Feldversuche durchgeführt. Dabei verglichen die Forschenden verschiedene NOcsPS-Anbausysteme mit konventionellen und ökologischen Systemen. Während die NOcsPS-Erträge in Dahnsdorf aufgrund der Standortbedingungen im Vergleich zum konventionellen Anbau stärker zurückgingen, blieben die Erträge in Hohenheim stabiler. „Hier bietet der Standort unter anderem eine bessere Wasser- und Nährstoffverfügbarkeit“, erklärt Prof. Dr. Bahrs.
So unterschieden sich die Weizenerträge der NOcsPS-Systeme in Hohenheim kaum von denen der konventionellen Anbausysteme. Sie lagen im Durchschnitt nur vier bis zwölf Prozent darunter, in Dahnsdorf fielen sie allerdings um 23 bis 24 Prozent niedriger aus. Im ökologischen Anbau waren die Ertragseinbußen erheblich höher.
Die NOcsPS-Systeme erzielten somit in der Regel zwar geringere Weizenerträge als der konventionelle, aber höhere als der ökologische Anbau, der oft mit Stickstoffmangel zu kämpfen hatte. Außerdem beeinflussten unterschiedliche Klima- und Bodenbedingungen die Ergebnisse stark.
Unkrautbekämpfung mit modernster digitalisierter Technologie
„Grundlage von NOcsPS ist eine veränderte Fruchtfolge aus Halm- und Blattfrüchten, mit Winter- und Sommerfrüchten. Sie dient sowohl dem präventiven Pflanzenschutz als auch dem Humusaufbau im Boden“, erläutert Prof. Dr. Ralf Vögele, Co-Sprecher des NOcsPS-Verbunds vom Fachgebiet Phytopathologie. Dabei werden neben Getreide und Mais auch Eiweißpflanzen und Zwischenfrüchte integriert. Nicht zu vergessen: Der gezielte Einsatz von Mineraldünger zur optimierten Stickstoffversorgung der Pflanzen.
Wie im ökologischen Landbau sei dabei die mechanische Unkrautbekämpfung ein zentraler Aspekt. Die Forschenden setzen auf intelligente Hack- und Striegeltechnik: „Wir nutzen modernste automatisierte und digitalisiert vernetzte Technologien, die biologischen Prinzipien folgen“, beschreibt Prof. Dr. Roland Gerhards vom Fachgebiet Herbologie. Diese können nicht nur zwischen Kulturpflanzen und unerwünschtem Bewuchs unterscheiden, sondern verschonen auch geschützte Arten oder solche, die für den Erhalt der biologischen Vielfalt eine besondere Rolle spielen.
Ökonomische und ökologische Perspektive
Im NOcsPS-Projekt nehmen die Forschenden die gesamte Wertschöpfungskette ins Visier – von der Züchtung und Produktqualität über das Management von Resistenzen und Schadorganismen bis zur Betriebswirtschaft, der gesellschaftlichen Wahrnehmung und den Effekten auf das Ökosystem.
In den Feldversuchen lagen aus betriebswirtschaftlicher Sicht die erzielten Erträge zwischen ökologischem und konventionellem Anbau. Da sich auch der Marktpreis für Produkte aus NOcsPS-Systemen zwischen den beiden Polen bewegen dürfte, bleibt die Reaktion der Konsumierenden spannend. Erste Umfragen deuten jedoch darauf hin, dass die Menschen dem Verzicht auf chemisch-synthetischen Pflanzenschutz positiv gegenüberstehen und bereit sind, für diese Produkte auch höhere Preise zu bezahlen. (siehe Pressemitteilung „Landwirtschaft 4.0: Deutsche wollen mehr Nachhaltigkeit im Einkaufskorb“).
Schon jetzt zeigen die Zwischenergebnisse positive Effekte auf die Biodiversität und vor allem die Vielfalt an Insekten an beiden Standorten. Geplant ist, die Versuche auf anspruchsvollere Kulturen wie Raps, Zuckerrübe und Kartoffeln auszudehnen.
Das Verbundprojekt „LaNdwirtschaft 4.0 Ohne chemisch-synthetischen PflanzenSchutz“ (NOcsPS)
Das Forschungsprojekt „Landwirtschaft 4.0 ohne chemisch-synthetischen Pflanzenschutz (NOcsPS, Aussprache: n?ps)“ zielt darauf ab, nachhaltigere Anbausysteme zu entwickeln, ohne die Ertragsleistung signifikant zu beeinträchtigen. NOcsPS-Anbausysteme verzichten auf chemische Pflanzenschutzmittel, setzen jedoch Mineraldünger ein. Im Rahmen des Verbundprojekts entwickeln und untersuchen die Partner diese neue Ackerbaustrategie – vom Feld bis auf den Markt.
Das Projekt NOcsPS startete am 1. Juni 2019 und läuft über mindestens 4,5 Jahre. Die Universität Hohenheim koordiniert das Projekt und bearbeitet 16 Teilprojekte an 20 Fachgebieten. Weitere Projektpartner sind das Julius Kühn-Institut (JKI) mit zwei Teilprojekten und die Universität Göttingen mit einem Teilprojekt, die jeweils von weiteren Praxispartnern unterstützt werden. Gefördert wird das Vorhaben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Förderprogramm „Agrarsysteme der Zukunft“ mit knapp 5,3 Mio. Euro, davon entfallen rund 4,5 Mio. Euro auf die Universität Hohenheim.
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