Historisches Gemüse mit Kult-Status
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#BUGAErfurt2021
Zur Bundesgartenschau 2021 in der Landeshauptstadt von Thüringen wird die Brunnenkresse eines der emotionalsten Themen sein, ist diese Kultur doch wie kaum eine andere mit der Stadt und ihrer Geschichte verbunden. Seine kleine Brunnenkresse-Ausstellung in seinem Hof hat Ralf Fischer sorgfältig überarbeitet. Während der BUGA soll es hier Vorträge geben und auch die Klinge kann besucht werden.
Es ist rutschig, wackelig und man braucht Gleichgewicht. Ralf Fischer ist mit sicherem Schritt auf den schmalen Holzplanken unterwegs. Dennoch gehört bei seiner Ernte auch etwas Akrobatik mit dazu. Wenn Fischer fallen würde, wäre er nass, viel mehr passiert aber nicht, denn das Wasserbecken ist nicht sehr tief. Nur wenige Zentimeter trennen den Grund von der Oberfläche. In diesem stetigen Wasserfluss ernährt sich die Erfurter Brunnenkresse ganz wunderbar. Vorausgesetzt, die Bedingungen sind perfekt. Für den 68-Jährigen ist die Ernte harte Arbeit. Ralf Fischer pflegt an diesem Ort eine Erfurter Tradition und weiß seit Kindheitstagen, was diese besondere Kultur benötigt.
Meist im Winter bei Temperaturen zwischen 3 und 10 Grad Celsius rutscht Ralf Fischer Zentimeter für Zentimeter über die quer liegenden Holzbohlen und schneidet mit viel Routine, einem wachen Blick und seinem scharfen Messer die Brunnenkressebüschel ab. Wenige Minuten später dreht er die Querbretter und fängt wieder von vorn an. Das ist mühsam, aber so haben es schon zwei Generationen vor ihm gemacht.
Ralf Fischers Arbeitsort ist ein Denkmal für die Gartenbaugeschichte der Blumenstadt Erfurt. Für seine Großeltern, aber auch Ralf Fischers Eltern Fritz und Johanna gab es noch andere Gemüse- oder Obstsorten, aber die Brunnenkresse mit ihrer Würzigkeit, Schärfe und den vielen Vitaminen war immer schon eine Herzensangelegenheit. Der Aufwand war zwar hoch, aber der Ertrag konnte sich sehen lassen.
Jahrhundertealte Tradition
Seit etwa 1630 wird in Erfurt Brunnenkresse angebaut. Was natürlich und wild in den Quellgewässern wuchs, wurde professionalisiert und von immer mehr Familien als guter Verdienst angesehen. Kultiviert wird das Gemüse bis heute so, wie es Ratsherr Christian Reichart (1685-1775), der berühmte Sohn der Stadt, Universalgelehrter und Begründer des deutschen Gartenbaus im 18. Jahrhundert auf den Weg gebracht hatte: In sogenannten Kresseklingen – künstlich angelegten Wasserläufen mit einem leichten Gefälle von 0,5 bis 1 Prozent, damit das kalte Wasser ohne Temperaturverlust durch die Anlage strömen kann.
Reichart etablierte ab 1740 zudem ein geordnetes und recht ertragreiches Anbausystem aus einer Kombination aus Klingen für den Anbau von Brunnenkresse und Dämmen, sogenannten Jähnen, für andere Gemüsesorten. Damit sorgte Reichart für mehr Ertrag auf den Flächen und Feldern vor der Stadt. Länder wie Frankreich, England, Schweiz und die USA folgten später seinem Vorbild.
Das Kraut hatte sogar einen berühmten historischen Fürsprecher. Napoleon Bonaparte war bei seinem Erfurter Aufenthalt 1808 so angetan von dem würzigen Gemüse, dass er kurzerhand zwei Gärtner nach Versailles mitnahm, um dort Brunnenkresse nach dem Erfurter Vorbild anzubauen.
Auch 150 Jahre später war das Gemüse beliebt. Lediglich die Anbaumethode wurde verfeinert. Die Jähnen wurden aufgelöst, sodass die Kresseklingen zu einer großen Wasserfläche zusammengelegt wurden. Hölzerne Laufstege in Abständen von drei Metern ersetzten die Dämme. Somit wurde der Ertrag noch einmal gesteigert. Gleichzeitig fiel der Pflegeaufwand für die Dämme weg.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde Brunnenkresse aus Erfurt in die ganze Republik versendet. „1962 war eines der besten Erntejahre. Die fünf Gärtnereien erwirtschafteten damals 44 Tonnen auf einer Anbaufläche von knapp zwei Hektar", erzählt Ralf Fischer. „Brunnenkresse war rentabel und wurde auch in der Pharmazie zu Heilzwecken verarbeitet."
Mit der Verstaatlichung vieler Betriebe und dem Weggang von Ralf Fischers Vater im Jahr 1974 endete auch langsam der Anbau der traditionellen Erfurter Brunnenkresse. Die damals 45 Klingen lagen Jahrzehnte brach oder wurden zugunsten von Anbaufläche für Gemüse zugeschüttet.
Frisches sauberes Wasser
Dass es Erfurter Brunnenkresse bis heute gibt, verdankt die Stadt der Initiative von Ralf Fischer, der nach der Rückübertragung des Gärtnereigeländes ab 1994 eine historische Klinge wieder aufwendig rekonstruierte und anfing, die Erfurter Spezialität im Quellwasser zu beleben. Ralf Fischer erfüllte damit seinem Vater und seiner Großmutter einen Traum. Seither ist er im Winter kniend in seiner kleinen Gärtnerei unterwegs und erntet mühsam, aber mit Leidenschaft die vitaminreiche Brunnenkresse. „500 Quadratmeter ergeben heute keinen riesigen Verdienst, aber in guten Jahren ernten wir pro Quadratmeter drei bis vier Kilo Brunnenkresse", sagt Ralf Fischer. „Das Gemüse hat eine gewisse Exklusivität und liegt je nach Saison bei knapp 30 bis 35 Euro das Kilo." Das reicht für Stammkunden und Restaurants in der Region.
Die Kressewurzeln benötigen für das Wachstum frisches und vor allem sauberes Wasser, das hier mineralisch und nährstoffreich ist und stets 11,2 Grad Celsius Temperatur hat. „Das Wasser muss immer fließen, das ist der Lebensnerv der Brunnenkresse, ohne den sie nicht klar kommt", erklärt Fischer, der in guten Jahren von September bis in den April hinein seine Klingen aberntet.
So wichtig das Wasser, so beliebig der Untergrund. Brunnenkresse braucht lediglich Halt und den findet die Pflanze auf Sand oder Schlamm. Wichtig wiederum ist die regelmäßige Düngung, die bei Fischer mit verrottetem Pferdemist sichergestellt wird, der drei Wochen nach dem Ausbringen der Setzlinge gestreut wird. Brunnenkresse ist eine ausdauernde Wasserpflanze. Sie bildet Adventivwurzeln aus den Blattachseln und blüht vom Mai bis zum September. Nach der Blüte bilden sich Samenschoten mit bis zu 60 Samen. Vermehrt wird die Pflanze sowohl über Saatgut als auch über Stecklinge, die dann als Jungpflanzen vorkultiviert werden. Vor Wildenten geschützt wird die Pflanze bei Ralf Fischer ganzjährig mit Netzen.
Anfällig für Krankheiten ist die Kultur eigentlich nicht. Aber es gibt Ausnahmen. Im Winter 2011/12 hat eine durch Blattläuse übertragene Krankheit dazu geführt, dass alle Pflanzen vernichtet werden mussten. Die Klinge wurde gesäubert, die Mauern gekärchert und selbst die Holzwerkzeuge zersägt. Ein Anfang von Null war die Folge. Gut, dass damals Ralf Fischers Mutter jedes Jahr Schoten mit Saatgut gesammelt hatte, sodass er nicht von außen Brunnenkresse kaufen musste. Original ist eben Original.
Gemüse gibt Superhelden-Kräfte
Das Wintergemüse hat einen sehr hohen Vitamin-C-Gehalt. Außerdem ist es reich an Eisen, Phosphor, Jod und sogar Kalzium. Ihr Anteil an Senfölen hemmt Bakterien und Viren. Sie ist eine wahre Power-Pflanze und gilt als eine der gesündesten Gemüsesorten der Welt. Brunnenkresse (botanisch: Nasturtium of cinale ) gehört zu den Kreuzblütengewächsen und ist verwandt mit Gemüsesorten wie Rettich oder Radieschen. In Erfurter Mundart wird die Brunnenkresse Braunkärsch genannt, andere Namen sind je nach Region Bachbitterkraut, Bitterkresse, Bornkersch oder Wassersenf.
Auch für Ralf Fischer ist die Brunnenkresse längst eine Herzensangelegenheit. Nach der Ernte, die von September bis April gehen kann, drückt er mit einem Patschbrett die aus dem Wasser ragenden Wurzeln und Kressespitzen wieder unter die Wasseroberfläche zurück. So werden die Pflanzen vor dem Austrocknen und Frost geschützt.
Im Sommer muss die ganze Anlage gesäubert werden. Unkraut wird ebenso entfernt wie die alten Pflanzen. Der Boden wird geglättet. Ins Wasser werden dann die Setzlinge eingestreut und mit einem Schwelgbrett leicht angedrückt.
2006 wurden 5,5 Hektar des Gebietes rund um die Dreienbrunnen als Landschaftsbestandteil unter Schutz gestellt. Damit sollen die aktiven und auch verfallenen Kresseklingen als einzigartige gartenbauliche Nutzungsform erhalten werden. Seit 2013 ist der traditionelle Klingen-Anbau sogar ins Erfurter Denkmalbuch eingetragen.
In Erfurt ist Ralf Fischer lange Zeit der Letzte seiner Zunft gewesen und hat mit viel Leidenschaft und manchem Rückschlag ein Stück bedeutende Gartenbautradition der Stadt am Leben erhalten. Seit dem vergangenen Jahr versucht sich mit Juliane Riehm eine Hobbygärtnerin daran, eine zweite Klinge direkt neben dem Gelände von Ralf Fischer zu restaurieren. Auch ein Gärtnereibetrieb im Norden Erfurts belebt die Renaissance des Anbaus auf neue Art und will nun ganzjährig den Verkauf von Brunnenkresse möglich machen.
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