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JENS SCHACHTSCHNEIDERS PRAXISGEDANKEN

Leben und leben lassen

Die Inflationsrate befindet sich auf einem langjährigen Rekordniveau. Der Mindestlohn steigt zum Herbst auf 12 Euro. Zulieferer von Betriebsmitteln nennen nur noch Tagespreise. Der Kostendruck auf unsere Betriebe wächst. Wie reagieren wir?
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Über Jahre gepflegte Partnerschaften zahlen sich aus und zwar jetzt insbesondere für den Kunden.
Über Jahre gepflegte Partnerschaften zahlen sich aus und zwar jetzt insbesondere für den Kunden.Jens Schachtschneider
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Keine Frage – viele Gartenbaubetriebe können auf zwei gute Jahre blicken. Corona hat die Nachfrage nach Pflanzen forciert. Die Preisentwicklung zeigt nach oben, einige Kollegen nutzten die Gelegenheit, sogar kräftige Preisanpassungen vorzunehmen. Es sei ihnen gegönnt, denn in den Jahren zuvor wurde vielfach unterhalb der Gestehungskosten vermarktet. Persönlich halte ich hingegen nicht viel davon, wenn Pflanzenpreise wie an der Tankstelle täglich schwanken. Natürlich wurde auch mir auf der Meisterschule das Prinzip von Angebot und Nachfrage vermittelt, das in der freien Marktwirtschaft großen Einfluss auf die Preisfindung hat. Dennoch besteht bei mir ein fader Beigeschmack. Vielleicht bin ich nur ein wenig aus der Zeit gefallen. Ebenso wie ich mich ungerne von Kunden bei der Preisbildung unter Druck setzen lasse, möchte ich nicht in den Ruf geraten, eine Warenknappheit zum eigenen Vorteil auszunutzen. Seriöser erscheint mir eine kalkulatorische Preisfindung auf Basis der Gestehungskosten. Auf dieser Grundlage legen wir stets vor dem Druck des Kataloges die Preise des kommenden Jahres fest.

Lieber über Fußball reden

Zugegeben, in der gegenwärtigen Zeit ist es schwer, für ein Jahr im Voraus zu planen. Wir alle haben das 2021 erlebt. Preise zum Beispiel für Töpfe und Energie sind gleich mehrfach im Jahresverlauf gestiegen. Da ist es nur logisch, wenn dieses auch Auswirkungen auf unsere Pflanzenerlöse hat. Zugleich geben wir auch aufgrund des Zeitaufwandes nicht gerne ausschließlich auf den Preis zielende Angebote ab und vermeiden alles, was unsere Kunden dazu stimulieren könnte. Preise sind wie die Konditionen den Kunden bekannt. Unsere Gärtnerei befindet sich in Norddeutschland und nicht auf einem orientalischen Basar. Über 90 % der Aufträge erreichen uns ohne vorherige Preisanfrage. Bei einem persönlichen Kontakt unterhalten wir uns lieber über andere Themen. Die Neuheiten im Sortiment, welche Stauden sich für einen speziellen Standort eignen oder die Fußballergebnisse des letzten Wochenendes. 

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ausdrücklich sehe ich mich als Verfechter von stabilen, für den Erzeuger auskömmlichen Erlösen. Dieses übrigens ganz im Interesse der Kunden. Wir kennen doch die Statistiken, die uns vor Augen führen, in welcher Anzahl in den letzten Jahren Gartenbaubetriebe ihre Tore schlossen. Längst gibt es in einigen Regionen kaum noch regionale Lieferanten. Fast schon fahrlässig glaubte man, irgendwo in Europa Produkte etwas billiger oder besser zu finden, statt gemeinsam mit den Kollegen vor Ort Partnerschaften zu entwickeln.

Erste Einzelhandelsgärtner setzen wieder verstärkt auf eine eigene Produktion, um die Liefersicherheit zu erhöhen. Beim Handwerker ist es uns längst das Wichtigste, dass er zuverlässig und zeitnah kommt. Da wird über den Preis kaum noch gesprochen. Einer unserer Kunden betreibt nicht nur ein Fach-Gartencenter, sondern zudem ein großes Einkaufscenter. In aufwendiger Form stellt dieser regelmäßig in den Publikationen seine regionalen Lieferanten vor. Übrigens ganz ohne Werbekostenzuschuss oder andere Unsitten der Rabatt-Hascherei.  Massenprodukte der Großkonzerne können wir überall bei den ebenso großen Filialisten kaufen. Viel mehr spricht mich hingegen, auch emotional, unser HIFI-Gerät eines jungen Unternehmens an, das sich vor ein paar Jahren nur wenige Kilometer von uns entfernt gegründet hat.

Lieferanten gegeneinander ausspielen – das ist vorbei!

Die beiden Coronajahre haben den Gartenbau verändert, ich hoffe nachhaltig. Unternehmen, die ihren Profit bevorzugt auf den Rücken ihrer Lieferanten generieren, bekamen plötzlich selbst die kalte Schulter zu spüren. Über Jahre gepflegte Partnerschaften zahlten sich hingegen aus und zwar jetzt insbesondere für den Kunden. Dieser spürte wie nie zuvor, wie wichtig es ist, verlässliche Lieferanten an seiner Seite zu wissen. Wir selbst haben zahlreiche Neukundenanfragen abgelehnt und uns ganz darauf konzentriert, die gestiegene Nachfrage der Stammkunden zu bewältigen. Dennoch gab es in den heißen Wochen verlängerte Lieferzeiten, die dann bei gegenseitigem Verständnis akzeptiert wurden. Wenn wir in dieser Zeit aufgrund der Pflanzenknappheit die Gelegenheit einer unverhältnismäßigen Preisanpassung genutzt hätten, so wäre der von mir gepriesene partnerschaftliche Umgang kräftig strapaziert worden.

2015 wurde der flächendeckende Mindestlohn eingeführt. Viele haben seinerzeit dagegen gewettert. Ich habe ihn ausdrücklich begrüßt, da er in unserer Branche für mehr Fairness sorgte und schwarze Schafe an die Leine legte. Sie erinnern sich: Einige Betriebe ohne Tarifbindung zahlten ihren Mitarbeitern unanständige Löhne und versuchten, damit einen Wettbewerbsvorteil zu erhalten. Die neue Regierung hat eine Anhebung des Mindestlohnes auf 12 Euro angekündigt. Ob es uns gefällt oder nicht, wir müssen uns darauf einstellen. Jeder von uns kann sich ausrechnen, was es für seinen Betrieb bedeutet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Erhöhung erhebliche Auswirkungen auf das gesamte Lohngefüge im Unternehmen haben wird.

Zukunft sichern mit höheren Preisen

Nicht nur die Löhne steigen, gleiches gilt für Bedarfsgüter im Gartenbau. Hinzu kommt der Wegfall der Pauschalierung. In dem Wort steckt der Begriff „pauschal", also eine pauschale Besteuerung mit Gewinnern und Verlierern. Betriebe mit einem hohen Anteil von Investitionen bzw. Vorleistungen mit einem Steuersatz von 19 % waren im Nachteil, sodass diese teilweise optiert haben. Weniger technisierte Betriebe mit einem geringen Energieeinsatz genossen hingegen einen gewissen Steuervorteil, der nunmehr für viele entfällt. Es handelt sich dabei oft um Gärtnereien mit einer hohen Lohnquote. Somit kommen hier 2022 gleich drei Dinge zusammen: 1. Lohnsteigerungen, 2. Kostensteigerungen bei den Bedarfsgütern und 3. eventueller Wegfall der Pauschalierung.

An dieser Stelle passt mein Lieblingswitz: „Was macht ein Gärtner, der eine Million im Lotto gewinnt?" Antwort: „Weiterarbeiten bis sie aufgebraucht ist." Dieses Glück ist jedoch den wenigsten von uns beschieden. Somit gibt es nur eine Alternative: Preiserhöhungen oder nennen wir es Preisanpassungen, weil es schöner klingt. Wer diesen Weg nicht geht, der raubt seinem Betrieb die Zukunft und wird die Anzahl der Betriebsaufgaben weiter steigern. Keiner von uns weiß, wie sich der Pflanzenmarkt 2022 entwickelt. Wenn Pflanzen weiterhin begehrt und damit knapp sind, sollte es überwiegend machbar sein, die notwendigen Preise durchzusetzen. Wenn hingegen Druck auf den Kessel kommt, so gilt es zum Wohle unserer Unternehmen dennoch standhaft zu bleiben. Letztlich sitzen wir – Produktion und Einzelhandel – in einem Boot.

   

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