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Jens Schachtschneiders Praxisgedanken (33)

Ein Hoch auf die Arbeit

Bei so mancher gesellschaftlicher Diskussion bekommt man das Gefühl, dass Arbeit etwas Negatives sei. Fast so, als wenn dieses etwas Gefährliches wäre, vor dem man den Menschen schützen müsste. Ich bin ganz anderer Meinung und möchte die zielgerichtete, bewusste menschliche Tätigkeit (Definition „Arbeit“ bei Wikipedia) feiern.

von Jens Schachtschneider, Neerstedt erschienen am 10.02.2025
Hans, langjähriger LKW-Fahrer bei Schachtschneider, schätzt die Arbeit in der betrieblichen Gemeinschaft. © Schachtschneider Stauden und Marketing
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Unsere Mutter beging im letzten Jahr ihren 90. Geburtstag. Sie erfreut sich einer erstaunlichen Gesundheit und hat nicht ganz unerwartet angekündigt, ihren „Arbeitsvertrag“ nochmals zu verlängern. In einer kleinen Gewächshausabteilung mitten in der Verkaufsanlage meines Bruders kultiviert sie neben ein paar Sommerblumen insbesondere Tomatenpflanzen. Mit einem Sortiment von etwa 50 Sorten sind diese ein Verkaufsschlager in den Frühjahrsmonaten. Wenn man eine glückliche ältere Frau voller innerer Zufriedenheit begegnen möchte, so muss man in diesen Wochen in ihr Glashaus gehen. Daheim ist sie dann ohnehin kaum anzutreffen.

Neben den Betrieben meiner Brüder befindet sich eine frühere Zimmerei, die heute zu einem großen Baustoffhandel erwachsen ist. Der vor längerer Zeit verstorbene Senior war täglich auf dem Hofplatz anzutreffen, räumte die Paletten weg und sorgte insgesamt für Ordnung. Inzwischen ist sein Sohn im Seniorenalter angekommen und der Betrieb an die nächste Generation übergeben. Und wen trifft man, wenn man einen Baumpfahl oder Sack Zement benötigt? Natürlich den heutigen Senior, allerdings nicht wie früher im Büro, sondern mit einem Gabelstapler auf dem Platz, um Aufräumarbeiten zu verrichten.

Die vorgestellten Senioren üben diese Tätigkeiten nicht aufgrund einer finanziellen Notwendigkeit aus. Es geht um etwas völlig anderes. Um persönliche Erfüllung, dem Wunsch, etwas Sinnvolles zu tun, weiterhin dabei zu sein und nicht auf dem Abstellgleis zu stehen. In dem Umfeld sich zu bewegen, in dem man sein Leben lang gewirkt hat. Menschen zu treffen, sich auszutauschen und manches mehr.

Wir alle kennen den Satz: „Wir verabschieden Herrn Müller in seinen wohlverdienten Ruhestand“. Vielleicht nicht ganz zufällig sind viele Buchstaben des Wortes „Verabschieden“ gleich mit „Abschieben“. Zudem trägt das Wort „Abschied“ etwas Endgültiges in sich. Mit „wohlverdient“ kann ich mich ebenso wenig anfreunden. Eine Floskel, die zu mehreren Interpretationen einlädt.

Hans, unserem langjähriger LKW-Fahrer, spielte die Gesundheit längere Zeit einen Streich. Mehrere Operationen am Knie misslangen, an eine Tätigkeit als Fahrer war nicht mehr zu denken. Er suchte sich andere Tätigkeiten, der Kontakt riss aber nie ab. Inzwischen Rentner, haben wir ihm einen Teilzeitjob als Hausmeister angeboten. Das Knie funktioniert wieder und wer einmal „Hans im Glück“ erleben möchte, der kann ihn fast täglich bei uns im Betrieb antreffen. Seine Ärzte raten wiederholt, er möge doch so langsam im Schaukelstuhl Platz nehmen. Nach meiner Anmerkung „Nicht wir oder Dein Arzt, sondern Du entscheidest, was für Dich das Richtige ist“, hat Hans bereits mehrfach ein Jahr drangehangen. Denn dieses Leben in einer betrieblichen Gemeinschaft möchte er nicht aufgeben. Es tut einfach gut, gebraucht und geschätzt zu werden.

Es gibt gute Gründe, dass wir Menschen mit dem Älterwerden nicht aussortieren.

Es gibt gute Gründe, dass wir Menschen mit dem Älterwerden nicht aussortieren. Wir können es uns schlichtweg nicht leisten. Wir brauchen sie mit all ihrer Erfahrung und Kompetenz. Zudem wissen wir, dass es finanziell in den Sozialkassen sehr bald nicht mehr ausgeht, spätestens wenn bereits jetzt beginnend, die geburtenstarken Jahrgänge ins Rentenalter kommen.

Es geht auch um soziale Integration. Früher lebten wir in Großfamilien, heute droht älteren Menschen Einsamkeit, weil gewohnte Kontakte plötzlich nicht mehr gegeben sind. Beschäftigung für einige Stunden pro Woche bietet letztlich auf mehreren Ebenen dem Menschen Sicherheit und Teilhabe.

Allerdings besteht ein hohes Konfliktpotential, wenn der Seniorchef oder frühere Mitarbeitende weiterhin im Unternehmen wirken. Sich nunmehr persönlich zurückzunehmen, in die neue Rolle einfügen und den jetzigen Verantwortlichen nicht durch permanente Seitenhiebe das Leben zu erschweren – welch eine Herausforderung! Zugleich eine Voraussetzung, wenn dieses neue Zusammenspiel gelingen soll. Hierfür sind ein offenes Gespräch und klare Spielregeln notwendig - möglichst bevor das Kind im Brunnen liegt.

Wichtig ist zudem, dass es keine gegenseitigen Abhängigkeiten gibt. Dass also die Beschäftigung beidseitig jederzeit beendet werden kann, ohne dass es weitere Auswirkungen gibt. So sollte das Unternehmen auf den Nachfolger überschrieben sein, also nicht nur ein Pachtverhältnis bestehen.

Grundsätzlich muss ein beidseitiger Vorteil der Beschäftigung gegeben sein. Ansonsten gibt es ja viele weitere Möglichkeiten, sich anderenorts gesellschaftlich sinnvoll einzubringen.

Entscheidend ist die persönliche Einstellung zur Tätigkeit. Ich bedaure alle Menschen, bei denen die Arbeit auf die Funktion des Geldverdienens reduziert ist. Wer einer Vollzeitbeschäftigung nachgeht, der verbringt grob erfasst ein Drittel seiner Zeit mit Arbeit, hat ein Drittel frei gestaltbare Zeit und verbringt das letzte Drittel schlafend, was ich einmal ausklammern möchte. Wer also 50 % seines Lebens damit verbraucht, um die andere Hälfte finanzieren zu können, der verschenkt in gewisser Weise sein halbes Leben. Dieses Invest ist in meinen Augen viel zu hoch. Es gilt also eine Tätigkeit zu wählen, die einem persönliche Erfüllung gibt. Dieses ist viel höher einzustufen, als ein besserbezahlter Job, der einem kaum oder gar nicht zusagt.

Landauf landab trifft man Gärtnerinnen und Gärtner, die wöchentlich auf 60 Arbeitsstunden und mehr in ihrem Unternehmen kommen. Sie mögen über das eine oder andere klagen, zugleich spürt man eine hohe innere Zufriedenheit mit ihrem Wirken. Sie sind gleichermaßen glücklich wie pflichtbewusst. Sie fahren schon mal ein oder sogar zwei Wochen in Urlaub, aber spätestens dann zieht es sie wieder in den Betrieb – in ihr eigentliches Leben. Andere schütteln den Kopf und zeigen dafür kein Verständnis. Aber ist es nicht ein erfüllendes Leben, wenn man mit seiner beruflichen Tätigkeit derart eng verwachsen ist?

Und an die eigene Nase gefasst, wie ist es bei mir? Mit zwei Wochen Urlaub pro Jahr komme ich nicht klar. Dafür verreise ich zu gerne und schaue mir andere schöne Ort dieser wunderbaren Welt an. Übrigens halte ich dabei stets die Augen nach einer spannenden Gärtnerei auf. Unser wunderbarer Beruf lässt mich also auch unterwegs nicht los. Daheim liebe ich nahezu alle gärtnerischen Tätigkeiten, Heute vielfach im Büro, aber ebenso gerne im Garten oder im Betrieb. Um dabei nicht mit den Söhnen ins Gehege zu kommen, haben wir die Aufgabengebiete aufgeteilt. Und wenn meine Jobs alle erledigt sind, so gibt es immer noch zwei Optionen. Entweder ich schreibe Texte wie diesen oder ich schnappe mir einen Radlader und räum im Betrieb auf, so wie mein früherer Nachbar Dierk. Der Schaukelstuhl möge auch mir noch lange Zeit erspart bleiben.

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