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Jens Schachtschneiders Praxisgedanken (19)

Wo ist vorne?

Höher, schneller, weiter – diese Begrifflichkeiten gelten nicht nur im Sport, sondern auch für Gartenbaubetriebe in unserem Streben nach Optimierungen in jeglicher Form. Man muss ja schließlich im Wettbewerb bestehen. Aber sind dieses tatsächlich die Erfolgsfaktoren und die Antworten auf die Herausforderungen von morgen?
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Wie werden die Betriebsformen des Gartenbaus in Zukunft aussehen? Weder Gärtnerromantik noch Massenproduktion werden für sich allein Antworten liefern können.
Wie werden die Betriebsformen des Gartenbaus in Zukunft aussehen? Weder Gärtnerromantik noch Massenproduktion werden für sich allein Antworten liefern können.Werkfoto Schachtschneider
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Im August 2022 richtete die Gesellschaft zur Förderung der Gartenkultur ein Ernst-Pagels-Symposium aus. Über 300 TeilnehmerInnen ließen sich von der sommerlichen Hitze nicht abschrecken, nach Papenburg zu kommen. „Ernst Wer?", mag der eine oder andere Berufskollege fragen. Daher an dieser Stelle eine Kurzvorstellung:

Der erste Biogärtner

Herr Pagels, Jahrgang 1913, war der vielleicht erste bekennende Biogärtner Deutschlands, auch wenn es diesen Begriff vermutlich seinerzeit noch gar nicht gab. 1949 gründete er seine Staudengärtnerei im ostfriesischen Leer. Er zählt zu den „Foersterianern", also jungen, von Karl Foerster geprägten Staudengärtnern. Etwa zwei bis drei Handvoll MitarbeiterInnen waren in den kommenden Jahrzehnten jeweils im Betrieb tätig, viele junge Menschen haben bei ihm ihre Ausbildung absolviert. Kunstdünger lehnte Pagels ebenso grundsätzlich ab wie Pflanzenschutzmittel. Die Topferden basierten auf dem mehrfach umgesetzten Kompost. Um die Jahrtausendwende schlossen sich die Tore der Gärtnerei, Anfang 2007 ist Ernst Pagels verstorben.         

Warum trafen sich nun 15 Jahre später eine derart große Zahl von Pflanzenfreunden im Nordwesten, um sich einen ganzen Tag dieser Person zu widmen und sich im anschließenden Rahmenprogramm auf Spurensuche von Ernst Pagels zu begeben? Es ging weniger um die ökologische Ausrichtung des Betriebs. Von Weltruf sind seine Züchtungen, die bis heute unsere Staudensortimente prägen. Miscanthus -Sorten aus Leer finden wir in Amerika wie in Europa in unzähligen Gärten, ebenso seine Salvia - und Achillea -Sorten, um nur drei Gattungen zu nennen.

Für seine Züchtungsarbeit wurde Ernst Pagels allseits geschätzt. Hingegen rümpften wir Kollegen hinsichtlich seiner Kulturmethoden die Nase. Vielen von uns schien er antiquiert und der Betrieb kaum zukunftsfähig. Seine warnenden Thesen haben wir zwar vernommen, uns jedoch schnell wieder unserem Arbeitsalltag zugewendet.

Der Gartenbau hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant entwickelt. Wir nennen es Fortschritt oder modern. Ende der achtziger Jahre kultivierten wir die ersten Stauden in Neerstedt. Folien- und Gewächshaus wurden gebaut, was waren wir gemeinsam stolz auf unseren jungen Betrieb! Heute – nur 30 Jahre später – sind diese Kulturhäuser weitgehend Geschichte. Fast alles wurde zwischenzeitlich durch neue, modernere und größere Einrichtungen ersetzt. Ganz nach dem Motto „Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit."

Der Blick von außen

Inzwischen mehren sich die Zweifel an unserem Tun und unseren Idealen. Wir werden von Dritten kritisch hinterfragt. Diese messen uns nicht an der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens und der Qualität unserer Pflanzen. Wir können diese Stimmen auch nicht mit dem Wert unserer Pflanzen für Mensch und Natur überzeugen. Die Sicherung von Arbeitsplätzen zieht ebenso wenig wie die Struktur unserer Familienbetriebe. Selbst der Verzicht auf Herbizide lässt die Gemüter nicht beruhigen. Es geht um den Massenkonsum von Pflanzen, die nach wenigen Wochen in der Biotonne landen und dem in Relation dazu unverhältnismäßigen Ressourcenverbrauch.

Im Oktober fand in Hamburg die Delegiertentagung des Bundesverbands Zierpflanzenbau statt. Frühaufsteher nu tzten die Gelegenheit zu einem Besuch auf dem Hamburger Großmarkt. Die Anzahl wird geringer, aber es gibt sie weiterhin: regionale Erzeuger, die an kleinen Ständen ihre Erzeugnisse dem Einzelhandel anbieten. Nachmittags begaben wir uns in Vierlanden, dem traditionsreichen Gartenbaugebiet vor den Toren von Hamburg, auf eine interessante Spurensuche.

Für viele Exkursionsteilnehmer öffnete sich eine andere Welt. Der neue Betriebsteil ist über 20 Jahre alt. Der Einachs-Holder aus den Sechzigern ist weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Fuhrparks. Nutztiere picken zwischen den Kulturen nach Schädlingen. Es gibt fast vergessene Sonderkulturen, die weiterhin oder sogar steigende Nachfrage erfahren. In die Begeisterung für andernorts längst entsorgte technische Ausstattung mischen sich Fragen hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit einerseits und nach dem eigenen Handeln andererseits.

Begegneten uns unglückliche Berufskollegen? Nein – im Gegenteil! Wir wurden mit großer Herzlichkeit begrüßt. Die Alltagssorgen unterscheiden sich kaum von denen der mitreisenden Kollegen aus „modernen" Betrieben: Energiekosten, Verkaufserlöse, Mitarbeiter und Betriebsnachfolge. Gefühlt waren die Probleme jedoch überschaubarer. Vermutlich können diese Betriebe sogar flexibler agieren, weil sie sich weniger von Märkten getrieben in Abhängigkeiten begeben haben. Gartenbaubetriebe in überschaubarer Größe, die ihren regionalen Markt mit Schnittblumen, Topfpflanzen und Kräutern versorgen. Sind die Betriebe aus der Zeit gefallen oder trifft genau das Gegenteil zu?

Gärtnerromantik versus Massenkonsum

Auf N3, unserem regionalen Fernsehsender, läuft regelmäßig im Vorabendprogramm die Serie „Hofgeschichten". Darin wird der Lebensalltag von landwirtschaftlichen und gärtnerischen Familienbetrieben dargestellt. Da werden keine modernen Großbetriebe gezeigt, es geht um das idyllische Landleben. Manche mögen dieses als Gärtnerromantik abtun. Andere werden kritisch anmerken, dass der höhere Preis insbesondere von einkommensschwächeren Bürgern derzeit kaum bezahlt werden kann. Aber ist der preiswerte Massenkonsum wirklich die Lösung oder vielmehr das Problem?

Am Folgetag ging es in Hamburg um das Thema „grüne Stadtentwicklung". Der Klimawandel mit den heißen Sommern und Starkregenereignissen hat längst die Stadtplaner umdenken lassen. Urbane Räume gilt es, grüner und naturnäher zu gestalten. Konkrete Ziele sind längst definiert: Flachdächer werden begrünt, Regenwasser wird weniger in Flüssen „entsorgt". Neue Lebensräume entstehen für Flora und Fauna. Ein Zukunftsmarkt für unsere Branche, allerdings sind dafür sicherlich neue Produkte und Produktformen gefordert.

Zu meiner Überraschung erwähnt Maja Göpel in ihrem Bestseller „Wir können auch anders" explizit den Gärtner als einen Beruf, den es auch in Zukunft noch mit großer Sicherheit geben wird. Das fühlt sich zunächst für unsere Branche super an. Aber welchen Betriebstyp hat sie dabei vor Augen? Es übersteigt meine Vorstellungskraft, wie dieser konkret aussehen wird. Jedoch habe ich das Gefühl, dass dieser Zukunftsbetrieb eine Mischung sein wird aus dem, was uns Ernst Pagels mitgegeben hat und dem, was wir heute als modernen Gartenbau bezeichnen.

Das Zitat von Graham Greene bestätigt sich für mich einmal mehr: „Keiner kommt von einer Reise so zurück wie er weggefahren ist." In meinem Fall ergeben sich dabei mehr Fragen als Antworten.

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