Ehrlich währt am längsten
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Herr Putin ist vermutlich nicht in einer Gärtnerei aufgewachsen. Beim KGB war zudem die Wahrheit wohl auch nicht die zentrale Orientierungsgröße. Wir müssen gar nicht so weit schauen. Auch wenn ich unsere Volksvertreter nicht mit dem Kreml-Chef vergleichen möchte, so halten auch diese es nicht immer so genau mit der Wahrheit. Einige überdecken es mit erstaunlichen Gedächtnislücken, andere holt ihre Doktorarbeit Jahre später wieder ein, weil sie zu oft auf die Copy-and-Paste-Tasten gedrückt haben.
Und wir selbst? „Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein" – dieses Bibelzitat ist uns allen geläufig. Unwahrheiten sind in einigen Bereichen durchaus gesellschaftsfähig. Bei einer Weihnachtsfeier berichtete ich von einem Foto, das von mir am Straßenrand geschossen wurde. Ein Rechtsanwalt der Runde bot an, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Das habe ich nicht gemacht, die Angelegenheit war mit ein paar kleinen Scheinen zu lösen, ich musste noch nicht einmal ein Konto in Flensburg eröffnen. Aber wie hätte ich mich verhalten, wenn mein Führerschein ernsthaft in Gefahr geraten wäre?
Unbeliebter Besuch
Alle fünf Jahre findet sich bei uns für mindestens zwei Wochen Besuch ein. Die Stimmungslage meiner Frau verändert sich bereits Tage vorher auf höchste Anspannung. Ihre tägliche Arbeit wird dann vom Finanzamt Vechta geprüft. Jeden Fehler nimmt sie persönlich. Im Herbst war es wieder so weit. Der Prüfer war überaus freundlich, ja sogar humorvoll und dennoch blieb ein ungutes Gefühl. Nach über vier Wochen gab es dann die Auflistung der Auffälligkeiten. Unter Unternehmern gibt es den Spruch: Wenn Du nichts oder wenig nachzahlen musst, wechsle den Steuerberater. Wie bei den vorherigen Prüfungen ging es nur um Kleinigkeiten, übrigens auch zu unseren Gunsten. Unser Steuerberater bleibt dennoch und natürlich auch meine Frau. Wir mögen diesen Nervenkitzel nicht und belassen es daher bei schon mal etwas sportlich angesetzten Abschreibungszeiträumen. Zudem können wir nur Positionen glaubhaft vertreten, die wahrhaftig sind.
Einige Jahre haben wir gebraucht, um die Handwerker und Lieferanten zu finden, mit denen wir langfristig und vor allem vertrauensvoll zusammenarbeiten können und wollen. Ein Monteur, der bereits vom Nachbardorf laut telefonischer Aussage losgefahren ist und dann doch erst zwei Tage später bei uns eintrifft oder Iris-Jungpflanzen, die später wiederholt in einem bunten Farbspiel aufblühen – damit komme ich nicht klar.
Natürlich passieren im Betriebsalltag Fehler, auch bei uns. Es ist jedoch ein großer Unterschied, ob ein Versehen vorliegt oder bewusst gelogen wird. Es ist übliche Praxis, in Abstimmung mit dem Kunden eine Ersatzsorte einzupacken. Etwas anderes ist es jedoch, ohne jede Rücksprache unter dem falschen Namen Pflanzen mitzugeben.
Es spricht nichts dagegen, auf den Etiketten Verkaufsargumente zu benennen. Wenn auf der Pflanzenbeschreibung eines Bildetikettes beim Ziergras jedoch „bienenfreundlich" hervorgehoben wird, so ist dieses reichlich an den Haaren herbeigezogen. Hier wird keine Biene Nektar finden, immerhin mag das Winterlaub Insekten Schutz bieten. Beim Lavendel gibt es einige Selektionen, die sowohl wüchsig als auch blühfreudig und somit in kurzer Kulturzeit preiswert kultiviert werden können. Als Terrassenschmuck erfreuen sie den Gartenfreund einige Wochen. Zur Wahrheit gehört jedoch, dass diese Sorten vielfach kaum ausdauernd sind, daher sollten wir uns nicht zur Aussage „winterhart" auf dem Etikett hinreißen lassen. Unseriöse Kundeninformationen passen nicht zu uns Gärtnern.
Bei zu viel Nachsicht ist man selbst der Dumme
Zu über 90 % unserer Kunden hat meine Frau kaum Kontakt. Sie zahlen ihre Staudenlieferungen in den vereinbarten Fristen. Die anderen teilen sich in drei Gruppen: In der ersten Gruppe wird mal eine Rechnung übersehen. Im Zeitalter des digitalen Rechnungsversandes ist davor niemand gefeit. Hier geht es darum, keinen Schaden anzurichten, höchste Freundlichkeit ist angesagt. Zu der zweiten Gruppe hat meine Frau vielfach einen persönlichen Kontakt aufgebaut. Das sind Kunden, bei denen es gelegentlich finanziell enger zugeht. Man bespricht die Situation, wir halten in der vereinbarten Zeit die Füße still und anschließend erfolgt überwiegend der Ausgleich. Wenig Freude bereitet hingegen die dritte Gruppe. Der Blumenstrauß der Gründe ist groß, eines ist jedoch immer wieder gleich: Zusagen werden nicht eingehalten und die Ansprechpartner lassen sich gerne verleugnen. Ein ehrlicher Umgang erfolgt erst dann wieder, wenn es zu spät ist. Häufig wird der Frust über das unwürdige Schauspiel am Ende noch mit dem Ausfall der Forderung bestraft.
Von unseren Mitarbeitern erwarten wir stets ein Höchstmaß an Ehrlichkeit. Die größte Sensibilität haben wir Chefs, wenn Mitarbeiter „mein und dein" verwechseln. Ein Kündigungsgrund ersten Ranges. Das Vertrauen ist jedoch auch dann aufgebraucht, wenn man einen krankgemeldeten Mitarbeiter zufällig beim Pflastern des Vorgartens antrifft. Wir Chefs wissen von vielen Beispielen zu berichten, in denen wir von Mitarbeitern enttäuscht wurden. Aber wie ist es mit unserer eigenen Ehrlichkeit im Arbeitsalltag bestellt?
Jeder Chef, der von seinem Mitarbeiter einen Pflanzenschutzeinsatz abweichend der Vorgaben verlangt, der handelt nicht nur außerhalb der Gesetze, sondern setzt sich zugleich bei der Belegschaft in ein zweifelhaftes Licht.
Ist es jedoch möglich, im betrieblichen Alltag alle Gesetze und Bestimmungen zu beachten? Viele sind uns bekannt und auch nachvollziehbar, von anderen wissen wir gar nichts oder sie sind derart realitätsfern, dass es viel Überwindung kostet, diese stets punktgenau zu befolgen. Es ist manchmal schwer, unserer persönlichen Glaubwürdigkeit und Vorbildfunktion stets gerecht zu werden.
Es bedarf ebenso einer gewissen Konsequenz im Arbeitsalltag. Wenn die oder der Auszubildende morgens berichtet, das Berichtsheft sei leider daheim liegen geblieben, so ist dieses tatsächlich nicht auszuschließen. Wenn man anbietet, mit ihr oder ihm fix mit dem Auto hinzufahren, zeigt sich schnell der Wahrheitsgehalt der Aussage. Wertvoller als ein weiterer Pflanzenname sind für das weitere Leben derartige Erfahrungen des jungen Menschen.
Vorleben statt fordern
Wer von seinen Mitarbeitenden eine saubere und korrekte Arbeitszeiterfassung erwartet, der muss selbst ebenso sauber und korrekt agieren. Dieses fängt bei der pünktlichen Lohnzahlung an, und endet bei der korrekten Bezahlung oder dem Ausgleich der Überstunden nebst Zuschlägen. So schwer es im Einzelfall auch ist, nur was wir selbst vorleben, das können wir auch von unseren Mitarbeitern erwarten. Dazu zählt auch die Pünktlichkeit. Nahezu alle Chefs haben am Ende des Jahres deutlich mehr Stunden im oder am Unternehmen geleistet als die fleißigsten Mitarbeiter. Dennoch ist es ein wertvolles Signal, wenn auch wir morgens pünktlich antreten und ebenso nach der Pause gleich wieder am Start sind.
Übrigens: Nach der Schlussbesprechung holte der Steuerprüfer noch aus seiner Aktentasche eine Packung edler Pralinen und bedankte sich bei meiner Frau für die geordneten Unterlagen und den stets frischen Kaffee. Wie heißt es doch in einem anderen Zitat: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus."
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