Nicht so ängstlich bitte
Unmittelbar nach der Wende habe ich einige Zeit zunächst in Sachsen, später in Sachsen-Anhalt gelebt und bin viel auch in Thüringen und Brandenburg unterwegs gewesen. Die Umbruchzeit unmittelbar mitzuerleben, das war spannend!
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Von so manchem Kollegen habe ich damals Geschichten aus der damals noch kaum zurückliegenden DDR-Zeit gehört – auch dazu, wann es sinnvoll war, öffentlich seine Meinung zu äußern und wo besser nicht. Immerhin hatte eine von staatlicher Seite unerwünschte Äußerung schnell handfeste Konsequenzen für die Betriebsentwicklung oder den eigenen Lebensweg. Immerhin: Selbst unter diesen Verhältnissen gab es nicht wenige Leute, die ihren Standpunkt nötigenfalls auch öffentlich vertraten, auch wenn sie um mögliche Folgen wussten.
Warum mir diese Berichte und Gespräche einfallen? Zunehmend verhalten sich Menschen in verantwortlichen Positionen im Land und eben auch in unserer Branche so, als ob wir Verhältnisse wie zu Zonenzeiten hätten. Gern sagt man im vertraulichen Gespräch, bei einer Tasse Kaffee oder auch mal am Telefon, wie man das eine oder andere sieht, welche Entwicklungen man erwartet, befürchtet, erhofft.
Aber zu dieser Meinung öffentlich stehen, sie in einem Interview vertreten oder in einem Leserbrief? Auf gar keinen Fall! Manche gehen noch weiter und empfehlen dem fragenden Redakteur mehr oder weniger direkt, das eine oder andere Thema öffentlich am besten gar nicht an- und aufzurühren.
Erkundigt man sich nach den Gründen, wird deutlich: Letztendlich geht es um Ängste. Zum Beispiel davor, dass eine Meinung oder ein sensibles Thema vom sensationswütigen Journalisten irgendeines Massenblatts aufgegriffen und aus Skandalgeilheit verzerrt dargestellt werden könnte. Klar, solche Fälle gibt es, allerdings im Hinblick auf Fachbranchenthemen doch eher selten. So spannend sind unsere Fragen für die große Öffentlichkeit dann doch eher selten.
Andere fürchten, dass „die Politik“ auf „dumme Gedanken“ kommen könne, wenn sie von konträrer Sicht zu bestimmten Themen aus der Branche hört. Vermutlich steht hinter diesen Befürchtungen oft noch etwas anderes: Man fühlt sich in einer kaum mehr über- und durchschaubaren öffentlichen Welt nicht mehr wohl und will deshalb lieber unter Seinesgleichen im vertrauten Kämmerchen bleiben.
Die zunehmende Meinungsfeigheit ist auf Dauer gefährlich, für die Branche und für die Gesellschaft. Wir überlassen öffentliche Diskussionen zunehmend anderen, die aus Profilierungs- und Profitsucht gern im öffentlichen Rampenlicht stehen. Diese bestimmen dann Entwicklungen viel stärker mit, als wir uns wünschen können. Wollen wir das?
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