
Wie sozial ist der Mindestlohn?
Als 2015 der Mindestlohn eingeführt wurde, war ich ein grundsätzlicher Befürworter. Die damaligen 8,50 Euro passten in die Welt und sorgten zudem für Fairness im Wettbewerb der Unternehmen. Inzwischen muss ich den Kritikern recht geben, da leider die Höhe von der Politik massiv beeinflusst wird.
von Jörg Schachtschneider, Neerstedt erschienen am 14.10.2025Wir alle kennen die finanziellen Probleme unserer Sozialkassen, ob Kranken-, Pflege- oder Rentenversicherung. Die Politik verweigert sich der notwendigen Reformen. Dafür hat sie eine auf den ersten Blick clevere Idee: Insbesondere die Mindestlöhne sollen kräftig rauf. Dieses generiert mehr Beitragsvolumen und reduziert zugleich mögliche Ergänzungszahlungen. Andere Löhne ziehen nach und die Progression sorgt dafür, dass letztlich alle Arbeitnehmer überproportional mehr Lohnsteuer zahlen. Der eine oder andere durchblickt dieses nicht und verkennt, dass es letztlich nur einen großen Gewinner gibt: Unsere Staatskassen. Wie viele Stunden muss heute ein Elektriker arbeiten, um seine Elektrikerstunde, also sich selbst bezahlen zu können? Reichen einschließlich der fälligen Umsatzsteuer noch fünf Stunden oder sind es bereits mehr? Ein wesentlicher Grund dafür ist die hohe Abgabelast.
Wiederholt kommen insbesondere jüngere Menschen nach einer „Schaffenspause“ zu uns auf der Suche nach einem Job. Der direkte Start in das Arbeitsleben nach der Schulzeit ist missglückt oder nicht gewollt. Früher haben wir auch leistungsschwächeren Personen einen Job anbieten können und uns damit zugleich sozial engagiert. Beim Lohn waren wir flexibel, den einen oder anderen konnten wir so helfen, auf die Beine zu kommen. Heute ist das kaum mehr möglich. Der Mindestlohn legt uns enge Fesseln an, entweder wird innerhalb kurzer Zeit dieses Geld eingespielt oder wir müssen uns wieder trennen. Wer länger braucht, um im Arbeitsleben anzukommen, der bleibt auf der Strecke. Wir Unternehmer haben keine andere Wahl, da sich Löhne schnell im Betrieb herumsprechen und sich andere Mitarbeitende im Leistungsvergleich ungerecht bezahlt fühlen und eine entsprechende Anpassung erwarten. Diese würde jedoch unser Lohngefüge zerpflücken, mit der beschriebenen Konsequenz für Leistungsschwächere.
Längst warnen Experten vor einem neuen Problem, dass uns allen langfristig sehr teuer kommen dürfte: Aufgrund des stark gestiegenen Mindestlohnes verzichten deutlich mehr Schulabgänger auf eine Ausbildung, um direkt einen Job anzunehmen. Insbesondere für junge Menschen, die sich den Herausforderungen einer Ausbildung nicht stellen möchten, eine zunächst lukrative Option – jedoch versehen mit gefährlichen Spätfolgen.
Aufgrund des stark gestiegenen Mindestlohnes verzichten deutlich mehr Schulabgänger auf eine Ausbildung, um direkt einen Job anzunehmen Jens Schachtschneider
Inzwischen fordern Gewerkschafter deutlich höhere Ausbildungsvergütungen. Bis vor etwa 15 Jahren habe ich voller Überzeugung bekundet, dass sich die Ausbildung innerhalb der Ausbildungszeit für uns wirtschaftlich rechnet, wir also zumindest eine schwarze Null schreiben. Natürlich nicht bei jedem Azubi, aber in der Gesamtbetrachtung. Dieses ist heute längst nicht mehr der Fall. Die Vergütungen mussten stark angehoben werden, um mit anderen Berufen mitzuziehen. Der Aufwand als Ausbildungsbetrieb hat sich zugleich erhöht und die Leistungspotentiale junger Menschen entwickelten sich leider vielfach nicht positiv. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten vieler Unternehmen sind noch nicht überall angekommen, sonst würde man derartige Forderungen nicht in den Raum stellen. Im Gegenteil ist zu prüfen, wie man die Ausbildungsbereitschaft der Firmen insbesondere bei schwächeren Azubis stärkt.
Berufskollegen, die insbesondere mit osteuropäischen Saisonkräften arbeiten, werden sicher längst die für sie größte Kritik am Mindestlohn vermissen. Der Entzug der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Ländern mit deutlich geringeren Löhnen und in der Folge die Existenzgefährdung vieler Familienbetriebe. Ganz bewusst will ich mich bei meiner Betrachtung davon etwas lösen. Denn diese Argumente sind bekannt, sie schlagen jedoch nicht durch. Vielleicht, weil man insgeheim auf eine „höherwertige“ Produktion in Deutschland setzt, die dann in andere Länder exportiert wird. Im Gegenzug mögen diese uns mit preiswertem Gemüse und Pflanzen versorgen.
Vielen Politikern geben guten Wahlergebnissen den Vorrang, diesen ordnen sie dem Schicksal der heimischen Agrarproduktion unter. Daher ist es aus meiner Sicht wichtig, dass wir unsere Argumentation breiter aufstellen. Wir haben da einen großen Strauß an Punkten, die es aufzuzeigen gilt. Ob die angesprochene Überlegung aufgeht, möchte ich zudem bezweifeln. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes lässt bekanntlich auf vielen Feldern nach. Das bekannteste Beispiel ist unsere bisherige Paradedisziplin, die Automobilbranche. Zudem haben wir während der Coronazeit gelernt, dass es klug ist, einen gewissen Selbstversorgungsgrad zu erhalten.
Eines unserer großen Probleme liegt an der hohen Zahl von Mitbürgern, die nicht am Arbeitsleben teilnehmen. Nicht jedem von uns ist eine gleichhohe Leistungsfähigkeit gegeben, dieses war übrigens schon immer so. Sie waren jedoch früher besser gesellschaftlich integriert und dazu gehört insbesondere eine Teilhabe am Arbeitsleben. Ein hoher Leistungsdruck hängt Menschen ab und macht sie krank.
Bekanntlich steigt die Anzahl von Menschen mit psychischen Problemen. Vielfach liegen die Gründe hierfür im persönlichen Bereich, aber auch im Arbeitsleben, Stichwort „Burn Out“. Steigende Lohnkosten zwingen die Betriebe geradezu, die Effizienz im Unternehmen zu optimieren. Insbesondere, wenn der Preisdruck durch Importware steigt oder höhere Preise auf den internationalen Märkten nicht durchgesetzt werden können. In der Folge wird es für leistungsschwächere und weniger stressresiliente Menschen schwerer, einen Job zu finden, oder sie steigen aus. Diese Zusammenhänge liegen auf der Hand. Sind sie auch den Entscheidungsträgern bewusst?
Schon länger erwarte ich, dass jemand mit folgendem Argument nach höheren Mindestlöhnen ruft: Erdbeeren, Spargel und Co., die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln ist teuer geworden. Spätestens hier beißt sich die Katze in den Schwanz.
Wer heute als Unternehmer einen zu geringen Lohn zahlt, der hat morgen Probleme gutes Personal zu finden. Jens Schachtschneider
In Zeiten des gegenwärtigen Arbeitskräftemangels haben wir einen funktionierenden Wettbewerb bei der Lohnentwicklung. Wer heute als Unternehmer einen zu geringen Lohn zahlt, der hat morgen Probleme gutes Personal zu finden. Entsprechend sind wir gefordert, unseren Leistungsträgern im Betrieb ein attraktives Gehalt zu bezahlen. Wohl wissend, wie schwer es ist, höhere Preise am Markt durchzusetzen.
Fazit: Wir benötigen einen Mindestlohn, der für einen erfolgreichen Eintritt in das Arbeitsleben keine zu große Hürde darstellt. Scheitern Menschen bereits auf der ersten Stufe des Berufseinstiegs, so bleiben sie entmutigt zurück. Viele von uns blicken kritisch auf Bürgergeldempfänger, dabei tragen wir als Gesellschaft eine Mitverantwortung.
Eine deutlich verbesserte Integration in das Arbeitsleben ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Denn Beschäftigung bedeutet gesellschaftliche Teilhabe und Wertschätzung. Ein zu hoher Mindestlohn ist unsozial, weil dieser Menschen vom Arbeitsleben ausschließt.
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