Eigenlob hilft nicht weiter
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Zum zweiten Mal bin ich auf einem Universitätscampus zugegen, während ein frischer Jahrgang Studierender dort die Bildungszeit in Angriff nimmt. Überall hängen Willkommensschilder. Als mittlerweile etwas ergrauter Mann wähne ich mich „Back to the Future" – als hätte ich meine Zukunft nochmals vor mir.
Diesmal traf dieses Gefühl auch den Grund meiner Anwesenheit: An der Humboldt Universität zu Berlin fand Mitte Oktober der Zukunftskongress Gartenbau statt. Dieser wird alle paar Jahre vom deutschen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) einberufen, um mit der Grünen Branche deren Zukunftstauglichkeit zu diskutieren. Beim letzten Kongress 2013 wurden die Teilnehmenden mit der verheißungsvollen Prämisse verabschiedet: „Die Zukunft beginnt jetzt." Zehn Jahre später musste etwas konsterniert festgestellt werden: „Die Zukunft ist jetzt." Jedoch scheint die Orientierung verloren gegangen zu sein.
Die Erwartungen der Veranstalter waren in der Einladung klar formuliert: Zehn Jahre nach dem zweiten Zukunftskongress Gartenbau 2013 sollte die Wirkung und Durchsetzung der damaligen Ergebnisse evaluiert werden. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Rahmenbedingungen und die daraus abgeleiteten Strategien zu Entwicklungspotenzialen des Gartenbaus waren bis ins Frühjahr 2022 aktuell und konnten der Politik praxisrelevante Orientierung geben. Sie boten den Gartenbauunternehmen belastbare Leitlinien zu nachhaltigen Entwicklungen. Seitdem haben sich die Rahmenbedingungen geändert und eine erneute Standortbestimmung notwendig gemacht."
Die Erwartungen der teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen waren nicht so eindeutig. Manche hätten sich konkrete Handlungsanweisungen und Vorschläge gewünscht. Aber das ist nicht das Ziel eines solchen „Sounding Board", in dem aus den Meinungen von Betroffenen und Beteiligten der Einklang für übergeordnete Veränderungsprozesse entstehen soll.
Deutlich hervorgeklungen ist eine starke Selbstüberzeugung – bis hin zu einer gewissen Selbstüberschätzung – bezüglich der positiven Aspekte der grünen Branche. Ob der einseitig postulierten Vorzüge des Pflanzenhandels muss ich die Selbstkritikfähigkeit der Branche arg in Frage stellen. Sein Tun ausschließlich über den grünen Klee zu loben, zeugt trotz anlässlich der Pandemie erlangtem Ritterschlag zur Systemrelevanz von einer reichlich einseitigen Sichtweise.
Differenzierter die Sichtweise von Konstantin Kreiser, Fachbereichsleiter für Naturschutzpolitik des Naturschutzbundes Deutschland (NABU): „Der Gartenbau ist gleichzeitig Opfer, Täter und Lösung." In diesem Dreiklang widerspiegelt sich auch die Überforderung mit der Kaskade der vielen aktuellen Herausforderungen.
Die Kommunikationsexpertin Claudia Goelz hat diese in einem LinkedIn-Beitrag treffend formuliert: „Ich hörte: Die Wertschätzung der Branche MUSS verbessert werden! Die Pflege MUSS in die Wertschöpfungskette integriert werden! Wir MÜSSEN deutlich machen, was die Pflanze kann! Wir MÜSSEN dafür sorgen, dass der Gärtner als wichtiger Umweltschützer wahrgenommen wird! Wir MÜSSEN mehr ökologische Inhalte in unsere Ausbildungen integrieren! Wir MÜSSEN mehr in Netzwerken denken! Wir MÜSSEN mehr in die Umsetzung kommen! Wir MÜSSEN eine stabile Gesprächskultur herstellen zwischen Produktion, Forschung und Politik! Wir MÜSSEN konkret werden!" Zum Schluss konstatiert sie: „Ja, der Tag kann Spuren von MÜSSEN enthalten, denke ich jetzt einigermaßen erschöpft. Das Potenzial ist riesig, der Bedarf ist riesig, das Bewusstsein wächst … hoffentlich."
Mehrmals wurde festgehalten, dass es kein Erkenntnisproblem gibt, sondern ein Umsetzungsproblem. Jedoch muss sich die Branche die geforderte Transformation auch leisten können. Ina Reinders, Manager Corporate Responsibility von Blume 2000 brachte dies auf den Punkt: „Nachhaltigkeit muss sich lohnen" – eben insbesondere auch zur Entlastung der Produzentinnen und Produzenten.
Alexander Kremer, der derzeit umtriebigste Händler unserer Branche, unterstrich, dass sich der Handel bezüglich Preisdruck nicht im Sandwich befinde, sondern seinen Gestaltungsauftrag an der direkten Schnittstelle zu den Konsumentinnen und Konsumenten bewusst wahrnehmen müsse.
Der Fachkräftemangel zog sich als roter Faden durch alle Foren und Diskussionen. Die Repräsentanten des Zentralverbands Gartenbau (ZVG) warben für die Etablierung einer achten Fachrichtung für den gärtnerischen Fachverkauf. Demgegenüber gab Alexander Kremer zu bedenken, dass die Ausbildungsspreizung schon heute fast keiner mehr verstehe. Ziel müsse es sein, Spezialisierung und Gemeinschaft zu verheiraten: „Als Branche sollten wir nicht ausschließlich über die Digitalisierung sexy sein, sondern über die gemeinsame Leistung."
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