Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Gärtnerei Wildwuchs in Fernbreitenbach

Nutzen, was vorhanden ist

Permakultur, ökologisches Gleichgewicht, rein biologisches Gärtnern: Nicht nur viele Verbraucher legen Wert auf Regionalität, Qualität und Umweltbewusstsein. Auch immer mehr junge Menschen leben den Traum von regenerativem Anbau von Gemüse und Stauden und gründen manchmal sogar eine Gärtnerei.

Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
Aline Schreyer und Hendrik Noßmann mit ihren beiden Kindern im Tomatengewächshaus.
Aline Schreyer und Hendrik Noßmann mit ihren beiden Kindern im Tomatengewächshaus.Jens Haentzschel, Erfurt
Artikel teilen:

Manche Lebenswege verlaufen anders als erwartet. Als Hendrik Noßmann ab 2004 erst an der Fachhochschule Erfurt und später zum Diplom in Osnabrück Landschaftsbau und Freiraumplanung studierte, war sein künftiger Job zumindest auf dem Papier klar definiert. Ein Bürojob am Rechner, die digitale Planung von Freiräumen, Gärten, Grünanlagen, Sitzungen, Diskussionen. Der Blick in die Natur durch ein Bürofenster jederzeit möglich. Dann traf er in Osnabrück auf Aline Schreyer, die dort erst ein Studium der Landschaftsentwicklung und später zusätzlich eine Ausbildung zur Gemüsegärtnerin absolvierte und vorsichtig formuliert etwas näher an den Pflanzen war als Hendrik Noßmann. Und er wiederum merkte, was im Büro und bei all der Planerei fehlte: die Handarbeit in der Natur sowie die Nähe zu Pflanzen. So wurden zu zweit Pläne geschmiedet. Das Ziel: eine eigene kleine Gärtnerei.

Weil Stuttgart dem jungen Paar auf Dauer zu teuer wurde und das meiste Land um Osnabrück in Besitz von großen Betrieben war, suchten sie anderswo ihr Stück Paradies – konkret einen Hof mit etwas Land. Brandenburg bot für wenig Geld viel, der kleine Ort Fernbreitenbach rund 25 km westlich von Eisenach wurde es am Ende, auch weil Hendrik Noßmann selbst aus Thüringen stammt. Heute lebt die mittlerweile kleine Familie in einem 230 Jahre alten Fachwerkhaus samt Hof und viel Grundstücksfläche und bereut diesen Schritt ins arbeitsintensive Gärtnerleben nicht.

„Wir haben beide das Gefühl, dass sich in unserer Generation einiges bewegt", sagt Aline Schreyer. „Es gibt viele junge Menschen, die ähnliche Begeisterung für den Gartenbau haben wie wir und die auch andere Wege als die konventionellen beschreiten wollen."

„Wildwuchs" nennt sich ihre kleine Gärtnerei. Der Name ist aber nur zum Teil Programm. Alle Topfpflanzen, Schnittkräuter und jüngst auch das Gemüse werden mit Sorgfalt, Nachhaltigkeit und von Hand produziert. Das Wort „Permakultur" ist Teil des Konzepts und findet sich auch im Gärtnerei-Logo. Heißt: Besondere Achtung wird dem Boden zuteil. „Wir bauen den Boden durch Kompost- und Mulchgaben auf und graben ihn nicht um", sagt Hendrik Noßmann. „Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, unsere Böden nicht mit Giften zu verseuchen, unsere Mitmenschen nicht mit Pestiziden zu belasten und die vielen Insekten nicht zu töten." Diese besondere Würdigung des Bodens hat dann auch gleich mehrfach positive Effekte. Die Pflanzen sehen gesund aus. Mit den verrotteten Pflanzenteilen werden zudem alle freiliegenden Böden abgedeckt und ökologisch gemulcht. Selbst die tropischen Temperaturen des langen Sommers 2019 konnte die Gärtnerei bestens überstehen. „Unsere Anbaumethode lebt von der Vielfalt. Mit dem ständigen Mulchen verhindern wir das Verdunsten des Wassers und ernähren die Pflanzen", sagt Aline Schreyer. Außerdem gelangen Pflanzen mit längeren Wurzeln tiefer bis ins Grundwasser, das sie dann in höhere Bodenschichten ziehen. So geht Kreislauf.

Besonderer Umgang mit dem Boden

Das Interesse für den ökologischen Umgang mit den Pflanzen wurde unter anderem von Wolf-Dieter Storl geweckt, der als Kulturanthropologe und Ethnobotaniker andere Zugänge zur Natur hat. Auch Bill Mollisons Name, immerhin der Erfinder des Begriffs „Permakultur", fällt bei beiden im Gespräch. YouTube und das Internet waren perfekte Orte, um mehr über den schonenden Umgang mit dem Boden zu lernen. In Fernbreitenbach geht es seit der Eröffnung der Gärtnerei „Wildwuchs" 2016 mit langsamen Entwicklungsschüben voran. Doch diese Schübe und Erfolge zeigen Aline Schreyer und Hendrik Noßmann, dass sich ihre Ideen auf sehr fruchtbarem Boden gut entwickeln. „Permakultur ist für mich inzwischen fast ein Modewort geworden, aber für uns konkret bedeutet es, alles vom Samenkorn bis zur Pflanze im Hofzyklus zu machen. Wir nutzen die Dinge, die vorhanden sind. Wir legen Beete auf den Rasenflächen und Wiesen an, indem wir die Beetfläche mit Pappe abdecken und darauf Mulch verteilen. Die Pappe unterdrückt das Unkraut im Boden, der Kompost hilft, dass kein Licht aufs Beet fällt und somit sich das Gras über den Winter zersetzt und langsam verrottet. Wenn wir das vor dem Winter anfangen, haben wir im Frühjahr fruchtbaren Boden, in den wir gleich Gemüse und Kräuter pflanzen können."

Das Prinzip funktioniert bestens. Auch nach drei Jahren ist der Boden perfekt zum Gärtnern. Das Saatgut erntet Aline Schreyer selbst, besondere Sorten bezieht sie über Firmen wie Dreschflegel oder Bingenheimer, weil hier die Keimkraft und Qualität am überzeugendsten sind. „Staudensamen beziehen wir bei kleineren Betrieben (zum Beispiel bei www.saatgutvielfalt.de) und nicht bei den großen Saatgutfirmen", sagt sie. „Wir betrachten Samen als Kulturgut und geben es auch an unsere Kunden weiter. Durch den Verkauf von Gemüse und Jungpflanzen erhalten wir die Vielfalt in den Gärten und bieten den Großkonzernen mit ihren Patenten, Hybridsorten und Gentechnik zumindest etwas die Stirn."

Auch das Substrat wird zugekauft. Für die Topfpflanzen werden torffreie Bio-Erden aus Mühlhausen verwendet, für die Anzucht torfreduziertes Substrat, das zukünftig noch auf torffrei umgestellt werden soll. Für die Mutterpflanzenquartiere und Schnittkräuterbeete gibt es zur Aufdüngung eigene Komposterde. Der Strom auf dem Gelände kommt von der Naturstrom AG.

Dann kamen langsam Stauden und Gemüse dazu. Ein Jahr später entwickelten beide ein Konzept, das sie für zukunftsweisend halten: Solidarische Landwirtschaft. Rund 30 Kunden werden von Aline Schreyer und Hendrik Noßmann wöchentlich beliefert oder holen sich ihre Gemüsekisten regelmäßig ab. Die Gärtnerei „Wildwuchs" wird so zum direkten Produzenten für eine Erzeugergemeinschaft, die langsam gewachsen ist. Kurze Wege sind garantiert. In der eher ländlich geprägten Gegend ohne nennenswerte große Städte, aber im Umkreis von Eisenach, Bad Hersfeld, Eschwege und Bad Salzungen gab es bislang nichts Vergleichbares. Im Abo zahlen die Mitglieder zwischen 65 und 75 Euro im Monat oder 390 bis 450 Euro für eine Saison.

Die sogenannten Ernteanteile waren schnell vergeben, die Warteliste wächst und für 2020 müssen die beiden Gärtner schauen, wie viele Neukunden dazukommen können, ohne dass beiden die Arbeit über den Kopf wächst.

2019 hat das Paar stärker auf Gemüsejungpflanzen gesetzt und gemerkt, dass da Potenzial schläft, das nun ebenfalls 2020 mit noch mehr Gemüse- und Kräutervielfalt im Angebot geweckt werden soll. Denn die Baumärkte in der Region bieten längst auch Gemüse und Kräuter an, sodass beide nur durch Qualität und Vielfalt punkten können. „Wir haben eben nicht nur Rote Bete, sondern auch die gelbe Sorte ‘Burpees Golden’, die weiße ‘Albina Vereduna’, gestreifte Sorten wie ‘Tonda di Chioggia’. Bei den Radieschen gibt es ‘Eiszapfen’, ‘Rudi’ oder ‘De Dix-Huit-Jours’ ", sagt Aline Schreyer. Hinzu kommen besondere Kräuter wie verschiedene Minzen – unter anderem Apfel-, Erdbeer- oder Grapefruit-Minze sowie Marokkanische, Orangen- oder Russische Minze und dunkle Spearmint-Minze –, exotische Kräuter wie Jiaogulan, Ananas-Salbei oder Zitronenverbene.

Im Kreislauf mit der Natur

Bei den Stauden gibt es Monarden, Prachtscharten, Ysop, Astern und diverse Nelken-Sorten, die in 9er-Töpfen auf den Verkauf warten. Hier gab es allerdings auch eine Erkenntnis: In der Region wird vielerorts der Herbst nicht als Pflanzzeit genutzt. Das Sortiment aus Stauden verkaufen beide deshalb nur von April bis Mitte Juli. Dann gibt es lediglich noch ausgewählte Pflanzenmärkte im Herbst, auf denen ein Absatz möglich ist. So entfällt auch das aufwendige Betreuen der Pflanzen durch den heißen Sommer. Weniger ist eben manchmal doch mehr.

Ansonsten achten Hendrik Noßmann und Aline Schreyer auf Umweltschutz. Die Plastiktöpfe, die sie für den Verkauf der Topfware nutzen, nehmen sie zurück, um sie erneut zu verwenden. Viele Kunden unterstützen die beiden dabei.

Während Aline Schreyer eher die Planungen übernimmt und die Abläufe in den Beeten organisiert, kümmert sich ihr Mann um die Umsetzung. „Wir wirtschaften im Kreislauf mit der Natur und machen von der Aussaat bis zur Ernte alles. Der Kompost stammt von Resten, Hühner und Schafe liefern den Dünger. Grundlage ist unser Verständnis, ganzheitlich mit der Natur zu arbeiten. Wir gärtnern bodenschonend ohne Umgraben, Fräsen oder Pflügen (No-dig-Prinzip). Der Boden soll sich aufbauen, ohne dass wir seine Bodenstruktur stören", erzählt Hendrik Noßmann. Was „Wildwuchs" heißt, sieht überraschend wenig nach Wildwuchs aus. Alle Gemüse- und Kräuterreihen sind sortiert, sehen aufgeräumt und gesund aus. Hecken teilen die Beete mit den Mischkulturen und sorgen auf jedem Beet für ein Kleinklima. Agroforst wird als Form der Landnutzung miteinbezogen. „Die Hecken schützen die Flächen, holen Nährstoffe aus tieferen Erdschichten und bieten Nischen für Vögel und Insekten. Permakultur muss nicht nach Dschungel aussehen, auch wenn Aline Schreyer und Hendrik Noßmann so wenig wie möglich in die Natur eingreifen und das Ökosystem einfach machen lassen. Zwei Foliengewächshäuser stehen voll mit Tomaten, ein sogenanntes Arche-Gewächshaus aus Holz mit Folienbespannung bietet weiteren Tomatensorten Platz.

„Wir haben auf dem Hof auch den alten Hühnerstall um ein Anlehngewächshaus ergänzt und nutzen diese Räume für die Anzucht", sagt Hendrik Noßmann. „Hier wird zudem getopft und es ist etwas Lager."

Neben der Arbeit für die Solidarische Landwirtschaft geht es für Hendrik Noßmann regelmäßig auf den Eisenacher Wochenmarkt. Hier bietet er einen Großteil seines Sortiments an und auch hier hatte er schon nach wenigen Wochen erste Stammkunden. Das Prinzip „Permakultur" hilft, den Kunden die Wertschätzung für einen nachhaltigen Kreislauf näherzubringen. „Natürlich ist es ein hartes Geschäft, jede Woche wieder und wieder auf dem Markt zu stehen", sagt Hendrik Noßmann. „Aber wir haben schnell gemerkt, dass die Nachfrage vorhanden ist. Die Kunden mögen es, nicht nur eine Sorte Tomaten zu bekommen und die klassischen Radieschen."

Langfristig wollen beide auch einen Bereich ausbauen, der zumindest schon angedacht und bereits eher punktuell Kunden an die Gärtnerei binden soll: Hof-Führungen, Seminare und Workshops sind in Planung.

Der Autor
Jens Haentzschel ist seit Anfang 2002 als fester Autor und Regisseur an der Fernsehsendung „MDR Garten" für den Mitteldeutschen Rundfunk beteiligt. Dabei entstehen verschiedene Beiträge über Gärten, Gartenbesitzer oder Pflanzenzüchter.
Bild: Sabine Brandt
Mehr zum Thema:
0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren