
Wertvolle Impulse in Wien
Markt- und betriebswirtschaftliche Vorträge und ein Exkursionsprogramm zu ideenreichen Betrieben der österreichischen Hauptstadt machten die Fachtagung des Zentrums für Betriebswirtschaft im Gartenbau zu einer inspirierenden Veranstaltung.
von Text und Bilder: Christoph Killgus erschienen am 14.11.2024Als Thema der Fachtagung hatten die Veranstalter „Betriebsentwicklung in Zeiten des Umbruchs“ gewählt. Erstmals fand das Event der an der Universität Hohenheim angesiedelten Einrichtung außerhalb Deutschlands statt. Eine gute Idee: Dass Wien ein Besuchermagnet ist, zeigte sich an zahlreichen Teilnehmern und . Doch auch die Kombination aus prägnanten Referaten und Besuchen ganz unterschiedlicher zukunftsträchtiger Betriebe kam bei den Teilnehmern gut an. Wesentlich vor Ort organisiert wurde die Tagung von Klaus Zambra, Landwirtschaftskammer Wien.
Robert Fitzthum, Direktor der Landwirtschaftskammer Wien, stellte die bedeutende Stadtlandwirtschaft Wiens vor. Nur wenige europäische Metropolen können eine solche bieten. 11,5 % der Landesfläche werden landwirtschaftlich genutzt. In Wien gibt es rund 700 land- und forstwirtschaftliche Betriebe. Der Bezirk Simmering ist Zentrum des Gartenbaus. Mit Stand von 2020 gibt es in Wien insgesamt 178 Gartenbaubetriebe, die 233 ha bewirtschaften, davon 148 ha in geschütztem Anbau. 38 dieser Betriebe kultivieren Blumen und Zierpflanzen auf einer Fläche von 28 ha.
Fitzthum verwies darauf, dass der Gartenbau schon immer Umbruchzeiten erlebt hat. Zunächst ging es um die Frage von Mengensteigerungen, dann um die Verbesserung der Produktqualität und heute gehe es insbesondere um die Art der Erzeugung.
Marlies Zahaurek, neue Geschäftsführerin des Bundesverbands der Österreichischen Gärtner, berichtete von rund 1.000 Verbandsmitgliedern, darunter über 500 Zierpflanzenbetriebe und über 170, die Gehölze oder Stauden kultivieren. Ein Anliegen ist ihr, dass die Junggärtner gute Beachtung in der Branche finden.
Prof. Dr. Anna Keutgen, Universität für Bodenkultur Wien, bearbeitet mit ihrem Team aus vier Personen an zwei Wiener Standorten eine erstaunliche Fülle an praxisrelevanten Gartenbauthemen. Dazu gehören die Agrovoltaik, Lösungen für den Feuerbrand an Oliven, Wege zum torffreien Gartenbau für Hobby- wie Erwerbsgärtner, Möglichkeiten, den Klimawandel für den Anbau von Bio-Wintergemüse zu nutzen oder auch der Anbau von gesundheitlich interessanten Microgreens.
Helmut Hohengartner, Urgestein der österreichischen Gartenbau-Beratung, stellte vor, wie die Arbeit mit Kennzahlen in Österreich aussieht. Diese werden in Erfa-Gruppen mit großer Offenheit besprochen – man weiß, welche Zahlen für welchen Betrieb stehen. Nach außen ist dabei Verschwiegenheit selbstverständlich. Die Betriebe der Gruppen sind teils sehr unterschiedlich, was sich als befruchtend erwiesen hat. Wichtig ist eine zeitnahe Auswertung der Zahlen. Schon Ende Juni kann man einschätzen, wohin der Hase des Wirtschaftsjahres läuft. Immer wieder zeigt sich: Kein Betrieb ist auf allen Gebieten gut – und keiner in allem schlecht, jeder kann von jedem lernen. Hauptherausforderung in der Beratungsarbeit ist aktuell, die Produktivität zu steigern sowie die Frage: Wie kommt man mit weniger Personal zurecht?
Der Unternehmer Andreas Gugumuck hat 2016 mit seinem Start-Up „Wiener Schnecken Manufaktur“ (www.gugumuck.com) eine alte Wiener Tradition wiederbelebt: Die Schneckenzucht. Diese passt zu zukunftsfähigen Formen der Stadtlandwirtschaft, bei der ressourcenschonenende, platzsparende und innovative Ideen gefragt sind. Die Schnecken liefert Gugumuck vor allem an die Top-Gastronomie. Auch Führungen von Gruppen mit Verkostungen sind sehr beliebt. Dieses Jahr will Gugumuck außerdem mit der Fischzucht in einer Aquaponikanlage starten.
Alfred Grand, Biobauer und Unternehmer, nennt seinen Betrieb selbst „Österreichs ersten Forschungs- und Demonstrationsbauernhof“. 90 ha bewirtschaftet er mit seinem Team seit 25 Jahren pfluglos. Seine besonderen Anliegen sind die Bodengesundheit, das Thema Agroforst und die Marktgärtnerei mit dem Ziel, zukunftsfähige Lebensmittelproduktionssysteme zu entwickeln. Marktgärtnrei meint dabei den Anbau einer großen Gemüsevielfalt auf kleinen Flächen, die von Hand produziert wird. Bei Grand sind das beispielsweise 200 permanente Beete, jeweils 0,8 x 30 m groß. Das Gemüse wird über Abo-Kisten, an die Gastronomie und über andere Wege vermarktet. Das Konzept zieht immer wieder junge Leute an, die gern im Betrieb mitarbeiten.
Prof. Dr. Stephan Meyerding, Marketingexperte von der Hochschule in Hamburg, empfahl Unternehmen, ein „Ökosystem“ um ihre Kunden zu bauen und sie ganzheitlich mit Produkten und Dienstleistungen zu betreuen. „Sprechen Sie mit Menschen!“ – mit Lieferanten über Trends, mit Kunden, die schon lange nicht mehr gekauft haben über ihre Gründe dafür – und mit Menschen, die noch keine Kunden sind, warum das so ist.
Iris Griesbach und Dr. Marike Isaak gaben Einblicke in das aktuell beim Zentrum für Betriebswirtschaft im Gartenbau laufende Projekt der Nachhaltigkeitsbewertung von und für Unternehmen. Für diese soll ein Instrument entwickelt werden, das mit geringem Erfassungsaufwand Orientierung gibt. Dazu gibt es Gespräche mit verschiedenen Akteuren im Gartenbau, auch mit Vertretern von Zertifizierungssystemen.
Sehr viel Erfahrung mit steuerlichen und rechtlichen Aspekten der Betriebsaufgabe und Betriebsübergabe hat Markus Lohneisen, Geschäftsführer der B&K Steuerberatungsgesellschaft mbH mit mehreren Standorten in Bayern. Er machte in seinen verständlichen und praxisnahen Ausführungen deutlich, dass eine Betriebsaufgabe nicht nur die Einstellung der Tätigkeit bedeutet. Zu den großen Herausforderungen gehört die Überführung des Betriebsvermögens ins Privatvermögen. Für eine Betriebsübergabe empfahl Lohneisen einen Zeithorizont von wenigstens fünf Jahren. Sein Appell: „Machen Sie nie etwas wegen der Steuer – es muss immer für den Betrieb Sinn machen! Der muss vernünftig weitergeführt werden können.“ Seine Erfahrung: Größte Herausforderung bei der Betriebsübergabe sind die Personen, die am Tisch sitzen mit ihren Befindlichkeiten. Und sein Rat: Es geht immer um eine zukunftsfähige Fortführung des Betriebs und nicht darum, alle Wünsche der Kinder zu berücksichtigen. Mit seiner Expertise empfiehlt sich Lohnhausen als Referent für weitere Gartenbau-Tagungen.
1Viele besuchenswerte Betriebe
An dieser Stelle kann nur in Kurzform auf die während der Tagung besuchten Betriebe eingegangen werden. Nicht nur deshalb: Ein beruflich motivierter Ausflug in den Wiener Gartenbau empfiehlt sich unbedingt, die Kollegen und Kolleginnen dort haben viele innovative Ideen dazu, wie Gartenbau in unmittelbarer Stadtnähe aussehen kann, wo starke Flächenkonkurrenz herrscht und Befindlichkeiten der Bevölkerung berücksichtigt werden müssen.

Spannend: Der Gemüsebaubetrieb Pannagl und die benachbarte Schnittblumen- und Schnittgrüngärtnerei Jedletzberger haben 2020 in eine gemeinsame Biomassen-Heizanlage investiert, nachdem die von der Stadt angebotene Fernwärme immer teurer wurde. Von den zwei Kesseln leistet einer 1 MW, der andere 0,5 MW. Ein Pufferspeicher ist mit 600 m3 dimensioniert. Die mit Hackschnitzeln betriebene Anlage läuft mittlerweile praktisch störungsfrei. Jährlich werden rund 30 LKW-Ladungen benötigt. Gemüse-Spezialität bei Pannagl sind große „Ochsenherz“-Tomaten. Seit vergangenem Jahr lässt Pannagl die Gewächshäuser per Drohne als Dienstleistung mit Schattierfarbe besprühen. Die Kosten dafür trägt er gerne, weil dadurch die risikoreiche Handarbeit auf dem Dach vermieden wird.

Werner Jedletzberger liefert Schnittblumen an Floristen und Großhändler. Seine Kulturen stehen auf 1 ha unter Glas oder Folie, zu 2 ha im Freiland. Spezialität sind Schnitt-Anthurien, die fünf bis zehn Jahre stehen. Schnittgrün gehört ebenso zum rund 80 verschiedene Kulturen umfassenden Programm wie angetriebene Gehölzzweige. Freiland, kalte und beheizte Gewächshausflächen nutzt er geschickt, um Angebotszeiten zu strecken und möglichst ganzjährig liefern zu können. Für die Kulturen sind auch ältere Häuser gut geeignet.
Die Bio-Gärtnerei Bodenstark (www.bodenstark.at) baut in Simmering seit 2018 auf 1,4 ha Bio-Gemüse an. Inhaber Erich Herret berichtete von manchen Herausforderungen. Zu diesen gehört, dass Bio-Produktion mittlerweile vielfach in großem Maßstab betrieben wird und damit die Preise deutlich gesunken sind. Der Zeiteinsatz für die Betreuung der Kulturen ist hoch. Nach wie vor Freude macht dem Unternehmer, neue Wege in der Bio-Produktion vor allem der Tomaten auszuprobieren.
Die Gärtnerei Ganger mit sortimentsreicher Gemüse-Eigenproduktion und starkem Direktabsatz (https://www.gaertnerei-ganger.at) haben wir ausführlich in DEGA GARTENBAU 5/2019 vorgestellt. Kultiviert wird alles, was Kunden interessiert. Im neuen großzügigen Ladenschaft werden auch Produkte befreundeter Bio-Bauern verkauft. Im Obergeschoss gibt es eine Küche, mit der ein langjähriger Traum der Senior-Chefin in Erfüllung ging – dort lassen sich Gemüseprodukte nun auch verarbeiten. 30 Mitarbeiter, darunter 12 Saison-AKs und 4 Azubis sind im Betrieb aktiv. Ganger beteiligt sich auch am Programm „Schule am Bauernhof“, für das mehrere Mitarbeiter qualifiziert sind. Große Herausforderung für die Entwicklung des Betriebs ist die umgebende Wohnbebauung. Mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen haben sich die Gangers gegen Flächenumwidmungen und -verlust gewehrt.

Mit dem nährstoffreichen Kreislaufwasser aus der Fischzucht von Welsen werden beim Wiener Start-Up Blün die Tomatenkulturen versorgt, freilich nur ein kleiner Teil der 4 ha großen Anlage. „Blün“ ist ein Kunstwort aus Blau und Grün – die Farben stehen für Fische und Gemüse. Das Unternehmen wirbt offensiv mit „Wiener Fisch & Wiener Gemüse“. Die Welse werden an verschiedene Kunden verkauft, das Unternehmen will nicht zu stark von einzelnen Abnehmern abhängig sein. Demnächst ist an einem neuen Standort eine Ausweitung der Fischproduktion auf das Fünffache geplant. Da es aus der Tomatenproduktion im Sommer immer wieder Übermengen gibt, verarbeitet das Unternehmen diese mittlerweile zu Ketchup.
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