Geben Sie einen Suchbegriff ein
oder nutzen Sie einen Webcode aus dem Magazin.

Geben Sie einen Begriff oder Webcode ein und klicken Sie auf Suchen.
Prof. Dr. Bernhard Beßler, Hannover

„Persönliche Kontakte sind nicht zu ersetzen"

Welche Auswirkungen hat die Zeit der Pandemie für die forschende und beratende Arbeit der Landwirtschaftskammer Niedersachsen? Davon erzählt Prof. Dr. Bernhard Beßler, Hannover, Leiter des Geschäftsbereichs Gartenbau der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, im Gespräch.

Veröffentlicht am
Dieser Artikel ist in der erschienen.
PDF herunterladen
„Kulturgut Zierpflanze, das gerade zu Corona-Zeiten in den Vordergrund gerückt ist."
„Kulturgut Zierpflanze, das gerade zu Corona-Zeiten in den Vordergrund gerückt ist."Christoph Killgus
Artikel teilen:

DEGA GARTENBAU: Herr Prof. Beßler, wie haben Sie persönlich die Corona-Zeit bisher erlebt?

Prof. Dr. Bernhard Beßler: Die Zeit anfangs war sehr aufreibend. Wir waren plötzlich gezwungen uns Gedanken zu machen, wie wir zum Beispiel im Quarantänefall oder bei einer möglichen Schließung einer der verschiedenen Lehr- und Versuchsanstalten (LVG), für die ich verantwortlich bin, agieren können. Die Versuchseinrichtungen sowie die zum Teil über Jahre angelegten wertvollen Versuche für den Gartenbau müssen am Laufen gehalten werden, auch bei fehlendem gärtnerischen Personal in den Betrieben. Wir mussten Konzepte für jede Versuchsanstalt erarbeiten, sei es für Hannover-Ahlem, Rostrup oder auch Jork.

Dann folgte die Zeit des Lockdowns, als die Zierpflanzenbetriebe in Niedersachsen keine Ware mehr absetzen durften. Die Zierpflanzengärtner traf es zu dem Zeitpunkt am härtesten, da diese den ganzen Winter über das Geld in die Kulturen investiert hatten und dann nicht verkaufen durften. In den benachbarten Niederlanden und in Nordrhein-Westfalen durften hingegen Pflanzen verkauft werden. Ich hatte verzweifelte Menschen am Telefon, die dramatische Situationen aus ihren Betrieben schilderten. Wir haben zusammen mit den Verbänden versucht, Einfluss auf die politischen Entscheidungen zu nehmen, die Ungerechtigkeit klarzumachen und Möglichkeiten zu finden, den Verkauf sicherzustellen. Parallel dazu trat die Dramatik bezüglich der Saison-Arbeitskräfte in den Spargelbetrieben auf.

Nach dieser anfangs sehr aufreibenden Zeit begann es für mich, ruhiger zu werden. Alles lief mit angezogener Handbremse, so mein Gefühl bis heute. Offenbar fahren alle momentan nur auf Sicht. Alles was perspektivisch in die Ferne geht, wird zurzeit vertagt. Aber gerade das macht meinen Arbeitsalltag aus, nämlich strategisch Dinge am Laufen zu halten, Strategien auszuarbeiten, in Gang zu bringen, Mittel zu besorgen, Projekte zu beantragen. All dies ist momentan in der Warteschleife.

Und was hat die Corona-Zeit für Ihren Dienstalltag verändert?

Ich bin sehr gut vernetzt und bestrebt, überall den Gartenbau immer wieder in den Mittelpunkt, in das Bewusstsein zu rücken. Das funktioniert durch die momentane Distanz derzeit wenig. Sitzungen finden kaum statt. Videokonferenzen sind gut und schön, aber viel emotionsloser, man ist sehr strukturiert, versucht schnell etwas abzuarbeiten und ist schnell fertig. Viele kritische Zwischentöne werden nicht geäußert. Es fehlt das Gespräch „zwischen den Tischen".

Ich verstehe mich als Visionär und sitze beispielsweise in Gremien, die sich mit Gartenbau 4.0 befassen. Das interessiert derzeit keinen. Viele sind froh, von einem Tag auf den anderen planen zu können.

Wie halten Sie und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Kontakt zu den Gärtnerinnen und Gärtnern?

Wir versuchen intensiv, unsere Publikationstätigkeit zu erhöhen. Wir publizieren im Internet, über Hortigate sowie in Fachzeitschriften, um die Versuchsergebnisse in die Praxis zu tragen. Auch auf der Internetseite der Kammer und über Youtube berichten wir über unsere Tätigkeit. Das gelingt ganz gut, aber es fehlen die großen Austauschforen wie auf dem Beet- und Balkonpflanzenseminar. Diese Veranstaltungen sind keine Einbahnstraßen, dort hören wir von den Gärtnern, was los ist, wo die Probleme aber auch Chancen liegen, wo sich beispielsweise etwas Geniales entwickelt. So etwas nehmen wir gern auf, um es weiterzuentwickeln. Auch diese Dinge laufen derzeit mit angezogener Handbremse.

Die Mitarbeiter in Jork haben sich sehr viele Gedanken gemacht beispielsweise zu Videosprechstunden. Nach Telefonanfragen zu Kulturproblemen haben sich die Berater den Schaden allein angesehen und anschließend mit dem Betriebsleiter telefoniert, also kontaktlos beraten am Objekt. Hier sind viele kreative Möglichkeiten entwickelt worden, um den Kontakt zu den Gärtnerinnen und Gärtnern zu halten.

Sowohl vom Gartenbauausschuss wie auch in den Versuchsbeiratssitzungen, die auch tatsächlich physisch stattfanden, gab es sehr viel Lob für die Mühen und die Kreativität, die sich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen machen und entwickeln. Aber ganz klar, die persönlichen Kontakte sind nicht zu ersetzen.

Die Besucherzahl der Veranstaltungen war leider ohnehin die letzten Jahre rückläufig. Wie werden Sie und Ihre Mitarbeitenden zukünftig zur Teilnahme an Veranstaltungen motivieren?

Wir haben über die Jahre schon vieles ausprobiert, neue Formate entwickelt. Für das Ahlemer Forum Anfang kommenden Jahres wollen wir eine Online-Version zur Verfügung stellen. Wir werden wahrscheinlich keine externen Referenten einladen, sondern Vorträge von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anbieten. Vorstellbar ist, nur einen kleinen Teil der Menschen wie die Mitglieder unseres Versuchsbeirats oder des Gartenbauausschusses einzuladen, um hier vor Ort im Raum zu sitzen. Bei so einer Hybridveranstaltung wären einige Leute vor Ort, um die Veranstaltung mit etwas mehr Leben zu füllen. Dadurch wird die Veranstaltung etwas lebendiger und macht eine Diskussion besser möglich.

Für den traditionellen Poinsettien-Nachmittag Anfang Dezember überlegen wir, für einige Tage die Gewächshäuser zu öffnen, um Interessierten den Zutritt zu ermöglichen. Wir bemühen uns, unsere Versuchsarbeit unserer Klientel auch unter Corona-Bedingungen zu vermitteln.

Aber wir sollten uns nichts vormachen. Die Beschaffungswege für Informationen sind bei vielen Menschen mittlerweile völlig andere geworden. Internet und Co. spielen eine zunehmend größere Rolle, um an die für den Beruf benötigten Informationen zu kommen. Das merken wir natürlich.

Fehlen bei der Informationsweitergabe per Internet nicht die Einnahmen aus den Veranstaltungen?

Mit Veranstaltungen der LVGs hat noch keiner Geld verdient. Rechnet man alles zusammen inklusive der Kosten für die Referenten mit den Reisekosten, kommt man schnell auf 15.000 Euro – ohne die Arbeitszeit unserer Mitarbeitenden. Soviel wird bei einer Veranstaltung nicht eingenommen. Die Einnahmen sind nicht die Motivation. Die Motivation ist es, dafür zu sorgen, dass die Gärtnerinnen und Gärtner auf dem aktuellen Stand sind, ein Forum für den Austausch haben, die Nähe zu uns finden, um sich auch während des Jahres zu trauen, uns anzusprechen. Es lohnt sich übrigens immer, auf der Internetseite der Landwirtschaftskammer zu stöbern. Dort finden sich die aktuellen Informationen zu den Veranstaltungen sowie aktuelle Videos zu Versuchsergebnissen. So hat Heinrich Beltz aus Bad Zwischenahn ein tolles Video mit den Themen des ausgefallenen Baumschultags erstellt.

Hier sind die einzelnen Gärtner gefordert, sich aktiv zu informieren. Wir müssen momentan tagesaktuell reagieren. Da hilft es wenig, sechs Wochen vorher zu einer Veranstaltung einzuladen. Es spricht auch nie etwas dagegen, uns anzurufen oder eine E-Mail zu schreiben.

Wie wird Corona Ihren Arbeitsalltag und den Ihrer Mitarbeitenden wohl dauerhaft verändern? Wird es weniger Veranstaltungen und Reisen, dafür mehr Online-Veranstaltungen geben?

Mehr Online-Veranstaltungen sehe ich nicht. Gerade unsere Arbeit lebt viel von Haptik und Erleben. Wir haben uns ganz bewusst zu Beginn der Corona-Zeit dazu entschieden, die Versuchsarbeit wie geplant weiterzuführen wie bisher. Es gibt momentan keinen Grund, das Versuchswesen herunterzufahren.

Die eine oder andere Dienstreise über viele hundert Kilometer kann man sich zukünftig sparen. Wer strukturiert vorgeht, kann auch über Video-Formate viele Sachverhalte klären. Oftmals ist es sachbezogener, am PC diese Dinge zu klären, macht aber oft auch wesentlich weniger Spaß.

Was hat sich durch die Corona-Pandemie für die Landwirtschaftskammer und die LVGs positiv verändert?

(Nach langer Überlegung): Es wurde sicher an manchen Stellen etwas Druck herausgenommen. Ob das immer so positiv ist, sei dahingestellt. Zurzeit ist sicher alles ein wenig entschleunigter. Für meine im Homeoffice arbeitenden Mitarbeitenden ist oftmals sicher eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gegeben. Viel mehr fällt mir auf die Frage nicht ein, da wir auch schon vorher bemüht waren, attraktive Arbeitsplätze zu schaffen, genau wie eine gute Atmosphäre für unsere Kunden, die Gärtner und Gärtnerinnen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Landwirtschaftskammern für den Bereich Gartenbau unter den Bedingungen der von Jahr zu Jahr sinkenden Anzahl der Produktionsbetriebe, dem Strukturwandel?

Ich bin der festen Überzeugung, dass in naher Zukunft viel mehr Menschen als bisher verstehen werden, dass der Gartenbau eine viel zentralere Rolle hat, als zurzeit wahrgenommen wird. Denn das, was zum Beispiel ausgelöst durch den Klimawandel, die veränderten Ernährungsgewohnheiten oder auch im Verständnis von dem, was Schönheit und Kultur bedeutet, hat viel mit Gartenbau zu tun. Wir werden mehr Obst und Gemüse essen, mehr Grün in der Stadt benötigen, uns unterhalten müssen über Systeme, die dafür sorgen, dass die Städte nicht überhitzen. Das ist Gartenbau. Wir haben ein Kulturgut Zierpflanze, das jetzt gerade zu Corona-Zeiten etwas in den Vordergrund, in das Bewusstsein der Menschen gerückt ist. Viele haben gemerkt, dass diese Lust auf Schönheit für die Zierpflanze dazu führt, dass man sie als systemrelevant empfindet.

Ich glaube, dass aufgrund unterschiedlicher Strömungen wie Klimawandel, veränderte Ernährung oder dem Bedürfnis nach Kultur der Gartenbau seine Stellung festigen wird.

Das kann dazu führen, dass junge Menschen sich wieder mehr für Gartenbau interessieren. Ansätze dafür registrieren wir derzeit. Wir erhalten Nachfragen von jungen Menschen, die wissen möchten, wo sie Gemüsebau erlernen können. Ein belebendes Element für die Ausbildung und die Betriebe. Ich glaube, der Gartenbau geht eher gestärkt aus der Krise als geschwächt. Damit sind die gartenbaulichen Abteilungen der Landwirtschaftskammer eher auf dem aufsteigenden Ast. Ich blicke positiv in die Zukunft, weil ich spüre, dass sich etwas in die für uns gute Richtung bewegt.

Was beschäftigt Sie gedanklich noch in dieser außergewöhnlichen Zeit?

Ich habe mich zum Beispiel gedanklich mit der „Fridays for Future"-Bewegung auseinandergesetzt, die teils die Meinung vertritt, die Zierpflanzenproduktion sei unnötig, verschwende Ressourcen. Ist es in Ordnung, Ressourcen zu verbrauchen für Dinge, die einfach nur schön sind? Wollen Sie meine Meinung hören? Ja, es ist in Ordnung, es ist ein Teil unserer Identität, unserer Kultur!

Der Interviewpartner

Prof.Dr.Bernhard Beßler ist seit 1998 Leiter der Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau in Hannover-Ahlem und seit 2006 Leiter des Geschäftsbereichs Gartenbau der Landwirtschaftskammer Niedersachsen (LWK). Diese unterstützt die große Zahl gartenbaulicher Betriebe in Niedersachsen mit dem Versuchswesen als angewandter Forschung und Beratung. Außerdem lehrt Prof. Beßler im Rahmen einer außerplanmäßigen Professur das Fach Zierpflanzenbau an der Leibniz Universität Hannover.

0 Kommentare
Was denken Sie? Artikel kommentieren

Zu diesem Artikel liegen noch keine Kommentare vor.
Schreiben Sie den ersten Kommentar.

Artikel kommentieren
Was denken Sie? Artikel kommentieren