Wie Corona zum Konjunkturprogramm wurde
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Am 18. März 2020 war es soweit. Bedingt durch das Infektionsgeschehen kam es zum Lockdown. Kitas, Schulen, Geschäfte, Gastronomie-Betriebe und viele weitere Einrichtungen mussten schließen. Das öffentliche Leben kam zum Erliegen. Ausgenommen von der Schließung waren nur systemrelevante Geschäfte, die unter Sicherheitsvorkehrungen, den sogenannten AHA-Regeln, weiter öffnen konnten, allerdings von Bundesland zu Bundesland mit sehr unterschiedlichen Vorgaben. In den meisten Bundesländern konnten Gartencenter und Gärtnereien ihren Geschäftsbetrieb weiter aufrechterhalten – in einigen Regionen nur mit einem Notverkauf über eine Vertrauenskasse.
Sonderkonjunktur ab April
Findige Unternehmer richteten ad hoc, zum Teil onlinegestützt, einen Abhol- und Lieferservice ein, um wenigstens etwas Umsatz zu generieren. Soweit der dramatische Einstieg in die Pandemie. Nach einer gewissen Schockphase besserte sich die Situation in unserer Branche. Die Geschäfte berappelten sich. Dennoch fielen die Umsätze im März in den Keller. Ausnahmen gab es nur bei geöffneten Gartencentern und Einzelhandelsgärtnereien mit starkem Anteil an Pflanzware. Diese legten sogar schon im März gegenüber dem Vorjahresmonat umsatzmäßig zu.
Es folgten die Monate April mit Ostern und Mai, die zu einer unerwarteten, coronabedingten Sonderkonjunktur führten. Beide Monate, die sowieso zu den stärksten des Jahres zählen, generierten Umsätze, die vorher niemand zu erwarten hoffte. Die Menschen blieben zu Hause, soziale Kontakte verharrten auf Sparflamme, Urlaubsreisen respektive -planungen lösten sich in Wohlgefallen auf, es ging in erster Linie nur noch um die Selbstversorgung zu Hause.
Lieferengpässe bei Gemüsejungpflanzen
Neben Lebensmitteln und Do-it-yourself-Produkten aus dem Baumarkt waren auch Blumen und Pflanzen gefragt, denn unter den Einschränkungen von Corona sollte wenigstens das eigene Zuhause in eine Wohlfühloase verwandelt werden. So wurden Balkone, Terrassen und Gärten mehr als sonst bepflanzt, allen voran mit Essbarem, wie Kräutern, Gemüse, Erdbeeren und Zwergobststräuchern. Gartencenter und Einzelhandelsgärtnereien hatten überraschende Konjunktur. Es kam sogar zu Lieferengpässen, etwa bei Gemüsejungpflanzen, hier im süddeutschen Raum.
Eine vom Autor kontinuierliche Umsatzanalyse in elf Einzelhandelsgärtnereien im süddeutschen Raum, die Monat für Monat bereits seit Jahrzehnten in identischen Einzelhandelsgärtnereien durchgeführt wird, ergab, dass bereits im April rund drei Viertel der Betriebe ihren kumulierten Vorjahresumsatz übertroffen haben, größtenteils im zweistelligen Prozentbereich. Die Stimmungslage hellte sich auf.
Die weitere Geschäftsentwicklung wurde als positiv bis sehr positiv eingeschätzt. Genau sie trat auch im weiteren Verlauf ein. Im Mai entwickelte sich wiederum ein florierendes B+B-Geschäft, trotz Maskenpflicht und Abstandsregeln. Auch der Blumenhandel verzeichnete beste Geschäfte, mit einem Muttertag 2020 als absoluten Höhepunkt. Die typischen Einzelhandelsgärtnereien schlossen den Mai mit einem satten Plus ab. Auch in der Nachsaison, wenn sie sich überhaupt so bezeichnen lässt, hielt die überdurchschnittliche Nachfrage vor allem nach Pflanzware und entsprechendem Zubehör an. Nach dem ersten Halbjahr 2020 lagen 82 % der Betriebe gegenüber dem Vorjahreszeitraum im Plus. 64 % davon im zweistelligen Prozentbereich. Insofern sind die Ergebnisse mit den Bau- und Gartenmärkten zu vergleichen, die im ersten Halbjahr ein Plus von 16 % verzeichneten (Pressemitteilung Handelsverband Heimwerken, Bauen und Garten). Lediglich der August, umsatzmäßig ein Monat der dritten Kategorie, tanzte bislang umsatzmäßig etwas aus der Reihe, denn er war nicht so einheitlich besser als der August 2019.
Konsumveränderungen im Detail betrachtet
Interessant ist ein Blick auf das durch Corona veränderte Konsumverhalten im stationären Geschäft, wie sie in den Einzelhandelsgärtnereien bislang wahrgenommen wurden. Das Ergebnis einer Umfrage mit vorgegebenen Kriterien, in den an der Umsatzanalyse teilnehmenden Betrieben, geht aus der Tabelle hervor:
- Die stärkste Veränderung im Konsumverhalten der aufgeführten Kriterien wurde bei der Selbstversorgung mit essbaren Pflanzen festgestellt.
- Es folgt die Wiederentdeckung des Gärtnerns als Freizeitbeschäftigung. Beides könnte die Pandemie überdauern.
- Dagegen dürfte Platz drei im Ranking, allerdings mit gleichem Index wie der vorgenannte, wohl nur in Pandemiezeiten für ein zusätzliches Absatzpotenzial sorgen. Denn sobald Reisen ungefährdet wieder möglich sein werden, wird es die reiselustigen Deutschen wohl kaum mehr zu Hause halten.
- Weniger ausgeprägt waren Veränderungen im Kaufverhalten von regionaler Ware, respektive selbst produzierter Ware in den Einzelhandelsgärtnereien festzustellen. Es ist zu vermuten, dass diesbezügliche Vorteile noch zu wenig in den Betrieben vermittelt werden.
- Einen guten Mittelplatz nimmt die Wertschätzung von Familienunternehmen vor Ort ein. Die Gärtnerei als authentische, bodenständige, kompetente Anlaufstelle in Sachen Blumen, Pflanzen und Dienstleistungen gewinnt in Pandemiezeiten an Gewicht. Persönliche Ansprache, ein aufkommendes Wir-Gefühl, rückt Menschen sinnbildlich ein Stück weit näher zusammen.
- Für den verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen hat Corona keine wesentlichen Veränderungen im Konsumverhalten bewirkt. Ungeachtet dessen bleiben Klimaschutz und die Reduzierung, besser noch Vermeidung der Plastikflut etwa im Pflanzenhandel sowie die Umstellung auf torffreie Biosubstrate für Produzenten und Endkonsumenten an Bedeutung.
- Keinen nennenswerten Einfluss auf das Konsumgeschehen hatten die Hygienevorschriften beim Einkaufen.
- Den vorletzten Platz in diesem Ranking nimmt die Preissensibilität ein. Corona blieb in diesem Punkt ebenfalls ohne Auswirkungen. Vielmehr kauft die Kundenklientel das, was gefällt. Dabei spielt der Preis nicht die ausschlaggebende Rolle.
Niedrigere Umsatzsteuer bringt kaum etwas
Das Schlusslicht im Umfragetool nimmt die von der Regierungskoalition beschlossene befristete Umsatzsteuer-Senkung vom 1. Juli bis 31. Dezember 2020 ein. Außer einem erheblichen Aufwand für die Kassenumstellung gab es keinen spürbaren Effekt. Dieser ist auch nicht für Produkte des täglichen Lebens zu erwarten. Eine Endpreisreduzierung an der Kasse ist dabei ein wichtiges Zeichen von Kundenorientierung.
Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass die gute Kauflaune auch für die Herbstsaison und die Advents- und Weihnachtszeit zutreffen wird.
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