Geschichte der Tränen
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„Es wird sehr viel öffentlich geweint in Deutschland. Sportler tun es, Promis tun es und die Akteure des Reality TVs und Teilnehmer von Castingshows tun es auch und zwar alle naselang. Der alte Schlagertext „Tränen lügen nicht“ - wer würde ihn heute noch unterschreiben? Die meisten Menschen weinen öffentlich, weil sie am eigenen Pathos berauschen, sie weinen aus Berechnung oder weil es so im Drehbuch steht. Echte Tränen der Trauer sieht man selten in der Öffentlichkeit. Sogar auf manchen Beerdigungen spürt man, wie die Menschen sich zusammenreißen und sich nur keine Blöße geben wollen. Warum eigentlich nicht?
Tränen der Trauer sind etwas Ehrenwertes. Sie zeigen, wie sehr man einen Menschen geliebt und verehrt hat. Sie zeigen, wie man ihn vermisst. Als vor einiger Zeit der kanadische Premierminister Justin Trudeau öffentlich um seinen Freund den Sänger Gord Downie weinte, rollte eine Welle großen Mitgefühls und tiefen Respekts durch das Netz.
Tränen begleiten unser Leben von der Geburt bis zum Tod. Vierzig Badewannen werden in Deutschland täglich voll geweint – 34 davon von Frauen. Weshalb aber weinen wir? Charles Darwin war einer der Ersten, der versuchte, den Tränenfluss wissenschaftlich zu erklären. Weinen diene als »Hilfssignal« und wirke entspannend, meinte Darwin. Und lag damit, was das »Hilfssignal« anging, richtig. Die entspannende Wirkung der Tränen ist bis heute umstritten.
Nach dem Evolutionsforscher beschäftigen sich Jahrhunderte später die Emotionsforscher mit dem Phänomen. Weinen ist zumeist ein Zeichen der Hilflosigkeit, knüpft der Biologe Nico Frijda an Charles Darwin an und betont die soziale Dimension dieser Form, Gefühle auszudrücken. Weinen drückt im Ernstfall die Bereitschaft aus, jeden Widerstand einzustellen und signalisiert den Wunsch, am Leben zu bleiben, behauptet Frijda. Der amerikanische Psychologe Jeffrey Kottler sieht in den Tränen Signale, die Zuwendung und Hilfsbereitschaft mobilisieren sollen.
Aufgrund von Umfragen unter Studenten fanden die Wissenschaftler heraus, dass häufiger abends als tagsüber geweint wird, eher zu Hause als in der Öffentlichkeit und - und das war eine echte Überraschung - in nördlichen Ländern eher geweint wird als im Süden.
Für das Weinen gilt, was allgemein für Gefühle gilt: Frauen setzen sich durchschnittlich mit größerer Begeisterung emotionalen Situationen aus und verfügen dann über weniger ausgeprägte Filterstrategien als Männer. Im Lauf der letzten 10 Jahre, die wir nun schon als Bestatter und Trauerbegleiter arbeiten, sind wir natürlich vielen Menschen begegnet, denen die Tränen über die Wangen rollten. Natürlich kann - und möchten - wir hier nicht mit den Wissenschaftlern konkurrieren. Aber auch wir haben unsere Erfahrungen mit dem Weinen gemacht.
Tränen der Trauer lassen sich kaum wissenschaftlich erklären. Wir weinen in stiller Trauer, wenn wir alleine an das Totenbett oder den offenen Sarg eines geliebten Verwandten oder guten Freundes treten. Weshalb vergießen wir Tränen in einer Situation, in der es zumindest aus biologischer Sicht, keinen nennenswerten Nutzen bringt? Tränen haben etwas Befreiendes. Oder wie Thomas von Aquin einmal gesagt hat:Durch das Weinen fließt die Traurigkeit aus der Seele heraus."
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