Gartenbauwissenschaften unter großem Druck
Ein Überleben der Gartenbauwissenschaften ist nur durch Kooperationen und Spezialisierung der Hochschul-standorte möglich, erläuterte Prof. Dr. Uwe Schmidt, Humboldt-Universität Berlin. Auf der Mitgliederversammlung der CIOPORA Deutschland in Hannover gab er eine Übersicht der Situation seit dem BHGL-Workshop im Herbst 2013.
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Um die Zukunft der Gartenbauwissenschaften an den Universitäten muss man sich Sorgen machen. Sie kämpfen mit Stellenstreichungen, Schwund des Professorenbestands und einem Drahtseilakt zwischen Impact Factor und Praxisanspruch. Während die Praxis „Problemlösungsforschung“, verständliche Publikationen und Kontakte zu Unternehmen und Beratung erwartet, müssen sich die Wissenschaftler um „gute“, nämlich hochrangige Drittmittel und Publikationen in englischsprachigen Spezialfachblättern bemühen. Wissenschaft an Universitäten wird nach Anzahl der Studenten, Doktoranden, Graduierungsarbeiten und so weiter bemessen, also nach Masse statt Klasse.
Es besteht dringende Notwendigkeit, die Bewertung des wissenschaftlichen Outputs zu verbessern. Dieser muss einerseits exakt gemessen, andererseits mit Bedacht ausgewertet werden.
Der Journal Impact Factor war ursprünglich als Werkzeug gedacht, um Bibliothekare bei der Identifikation von Zeitschriften, die gekauft werden können, zu helfen, nicht aber als Maß für die wissenschaftliche Qualität der Forschung, wie er heute verwendet wird. Längst wird dieser Faktor als primärer Parameter zum Vergleich von wissenschaftlicher Leistung von Personen und Institutionen herangezogen. Als Instrument für die Forschungsbewertung weist er jedoch Mängel auf, so Schmidt.
Neben Forschungsartikeln werden andere wissenschaftliche Outputs bei der Beurteilung der Forschung an Bedeutung gewinnen. Auf bestimmte Zeitschriften ausgerichtete Forschung ist kontraproduktiv. Interessant ist laut Schmidt, dass auch die EU diese Diskrepanz mittlerweile erkannt hat und darauf in den Ausschreibungsbedingungen zukünftiger Forschungsprojekte mit mehr Nachfrage nach Anwendungsorientierung reagiert. Es sollen Projekte von der Grundlagenforschung bis hin zur Praxiseinführung begleitet werden.
Gartenbau, Biologie und Psychologie zusammen
Neuordnungen innerhalb größerer Fakultäten sind in Gange, bedeuten aber gleichzeitig Einschränkungen der Autonomie von Landwirtschaft und Gartenbau. Ab 1. April 2014 gibt es an der Humboldt-Universität Berlin eine Lebenswissenschaftliche Fakultät. Darin werden die Institute für Biologie, Psychologie und das neu gegründete Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften zusammengefasst und gemeinsame Schwerpunkte in Lehre und Forschung gebildet.
Dieser Prozess wird koordiniert und begleitet durch eine Gründungskommission, mehrere Workshops zur gegenseitigen Information über Forschungsinhalte, Methoden und potenzielle Drittmittelgeber sowie ein Perspektivpapier zur Entwicklung der Leistungsfähigkeit der bestehenden Institute und möglichen Synergien einer Zusammenarbeit. Es folgt eine Evaluierung des Prozesses durch externe Fachgutachter.
Ein gemeinsamer Workshop hat sich bereits mit dem Pflanzenbau im 21. Jahrhunderts befasst. Die Themen waren Hightech auf dem Acker und in Gewächshäusern, Molekulare Techniken, „urban farming“ (Begrünung städtischer Räume) und sogenannte autarke Lebenserhaltungssysteme („space farming“).
Mögliche gemeinsame Forschungsschwerpunkte der Lebenswissenschaftlichen Fakultät sind Pflanze und Umwelt, Nahrung und Ernährung sowie Entscheidungsverhalten von Menschen. Gartenbauwissenschaften gehören nicht nur an Hochschulen, sie sind auch an den Universitäten dringend notwendig.
Es muss dafür gesorgt werden, dass an Einrichtungen mit gartenbauwissenschaftlichen Studiengängen alle notwendigen Kernfächer eingerichtet bleiben oder wieder eingerichtet werden. Bachelor- und Master-Studiengänge muss es in der Ausprä-gung des jeweiligen Hochschultyps weiterhin an Hochschulen und Universitäten geben.
Durch den Einsatz digitaler Vernetzung in Lehre und Promotionsstudium wie der „distance learning“- oder „e-learning“-Systeme können unterschiedliche wissenschaftliche Einrichtungen in Lehre und Forschung zusammenarbeiten. Damit könnten in den Instituten Ressourcen nicht eingespart, jedoch Potenziale für andere innovative Projekte umgeschichtet werden.
Es wird die Einrichtung einer Task Force vorgeschlagen, die Mitglieder aus allen Hochschulen/Unis, außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Verbänden, Fachgesellschaften und Politik zusammenruft, um sich der dringenden Probleme der Gartenbauwissenschaften anzunehmen.
Neben Statements und Positionspapieren sind Fallbeispiele, „best practice“-Beispiele und konkrete Projekte für eine vernetzte Gartenbauwissenschaft im 21. Jahrhundert zu schaffen.
Es ist dringend notwendig, dass der Berufsstand die Gartenbauwissenschaften an den Hochschulen und Universitäten mehr als zuvor fördert und unterstützt, um den wissenschaftlichen Nachwuchs und Führungskräfte auch in Zukunft mit hoher Qualität heranzubilden.
Kooperationen auf allen Ebenen sinnvoll
„Das System der Partneruniversitäten im europäischen Ausland wächst langsam“, erklärte Schmidt. Der Vorteil der in der Gartenbaubranche kontrovers diskutierten Umstellung von Diplom- auf Bachelor- und Masterstudiengänge: Internationale Studiengänge wären laut Schmidt mit dem früher üblichen Diplomstudiengang nicht möglich gewesen.
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