Gift im Blumenstrauß?
Alle Jahre wieder – gerne zum Valentins- oder Muttertag – berichtet die Presse über den Einsatz giftiger Pflanzenschutzmittel beim Anbau von Pflanzen. In „Ökotest“ erschien ein ausführlicher Artikel über Pflanzenschutzmittelrückstände auf Rosen. Die Testergebnisse haben eine breite Diskussion ausgelöst. Und das ist auch gut so. Denn die Branche hat das Potenzial, sich dem Thema zu stellen.
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Der ehemalige Abteilungsleiter Gartenbau der Landwirtschaftskammer Hamburg Gerhard Gabrial wird auch im Ruhestand von Branchenkollegen als Experte für Schnittblumenproduktion konsultiert. Er hat in seinem Berufsleben viel Umgang mit Pflanzenschutzmitteln gehabt und begrüßt, dass sich das Risikobewusstsein inzwischen geändert hat. „Das blinde Vertrauen in die Chemie ist rückschrittlich“, sagt Gabriel. „Weil uns chemische Lösungen als Allheilmittel verkauft wurden, haben wir gutes Fachwissen verloren, genau wie in der Medizin“, sagt der Experte.
Mit diesen Worten kommentiert Gabriel die Debatte um den Artikel „Wem jetzt was blüht“, erschienen in der Maiausgabe des Magazins Ökotest. Hierfür wurden 22 Sträuße aus Importrosen auf giftige Pflanzenschutzmittelrückstände getestet: zertifizierte und nicht zertifizierte Blumen, vom Discounter bis zum Blumenfachhändler. Auf ausnahmslos allen wurden als giftig eingestufte Rückstände gefunden.
Verunsicherung nach dem Erscheinen des Artikels
In welcher Konzentration die Rückstände vorhanden waren, wurde von Ökotest meist nicht mitangegeben. Die Ökotest-Redaktion berichtet von vielen Anrufen in Reaktion auf den Artikel – sowohl von Pressekollegen als auch von Lesern. Auch bei dem niederländischen Umweltregistrierungssystem MPS, mit dessen Zeichen viele der Blumen ausgezeichnet waren, sind zahlreiche Anfragen eingegangen. Diese kamen in erster Linie von alarmierten Händlern, die sich bis dato auf das Zeichen verlassen hatten. „Wir haben gelernt, dass die Produktionskette noch stärker überwacht werden muss“, sagt Remco Jansen, bei MPS für Filialisten und Einzelhändler in Deutschland zuständig. „Der Artikel setzt eine Diskussion in Gang, die dringend geführt werden muss.“ Der Vertreter des holländischen Blumen-TÜV sieht den Handel in der Pflicht. „Er muss mehr Verantwortung übernehmen und auch in Forschung investieren, um Alternativen zu den giftigen Pflanzenschutzmitteln zu finden.“
Jansen weist zum Beispiel darauf hin, dass durch den Abbauprozess sogenannte Metaboliten entstehen, die oft giftiger sind als der Ausgangsstoff. Dies werde zu wenig berücksichtigt, wenn ausschließlich der Mitteleinsatz bei der Produktion geprüft wird. Aus dem zugelassenen Stoff Acephat kann beispielsweise giftiges Metamidophos entstehen. Das ist einer von zwei Stoffen, bei denen Ökotest die Konzentration veröffentlicht hat. Und diese ist mit fast fünf Milligramm pro Kilogramm auch nach Einschätzung von Dr. Dieter Martens von der Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalt (LUFA) Speyer „bedenklich“. Um die negativen Bewertungen von Ökotest nachvollziehen zu können, hätte die Redaktion allerdings mehr Stoffe namentlich und in ihrer Konzentration nennen müssen, sagt der Pflanzenschutzexperte. Unabhängig davon steht für ihn aber fest: „Es müsste ein regelmäßiges Monitoring geben und es besteht Forschungsbedarf.“
Bisher keine Auswirkungen auf Kaufverhalten
Die Experten fangen also an, das Thema „Pflanzenschutzmittel auf Blumen“ wichtig zu nehmen. Für die breite Masse der Kunden trifft dies offensichtlich noch nicht zu: Trotz der beunruhigenden Testergebnisse, die pünktlich zum Muttertag von mehreren Zeitungen aufgegriffen wurden, verkauften sich Blumen am Muttertag 2011 besser als im Jahr zuvor, verkündet der Bundesverband Blumengroßhandel und -import (BGI). Fleurop, dessen Mitglieder bei den Ökotest-Testkäufen besonders schlecht abgeschnitten hatten, berichtet sogar von einer Umsatzsteigerung von 20 Prozent zum Muttertag. Bei den getesteten Anbietern und Zertifizierungsorganisationen gingen kaum Kundenanfragen ein. Auch in der Verbraucherzentrale und in der Verbraucherinitiative standen die Telefone still.
Die Floristen scheinen ebenfalls unbeeindruckt von dem Thema – dabei gehören vor allem sie zu den Betroffenen. Schließlich arbeiten sie täglich viele Stunden mit den Blumen. „Wir haben keine Rückfragen zu Arbeitsschutz erhalten“, sagt Nikola Fink vom Fachverband deutscher Floristen. Allerdings habe die Deutsche Presseagentur wissen wollen, ob die Anzahl der Berufskrankheiten bei Floristen tatsächlich so hoch sei wie im Ökotest-Artikel beschrieben. „Man muss eben Handschuhe tragen“, sagt Nikola Fink. „Aber das lernen die Floristen schon in der Ausbildung.“ Das Merkblatt der Berufsgenossenschaft „Waren und Distribution“ aus dem Jahr 2009 empfiehlt den Floristen den „bewussten Einkauf“. Damit sind diese ziemlich auf sich allein gestellt. Woran sollen sie pflanzenschutzmittelarme oder -freie Blumen erkennen? Schenkt man den Ökotest-Ergebnissen Glauben, bieten nicht einmal die Labels Sicherheit.
Auch der Gesetzgeber hilft nicht weiter: Es gibt keine Richtlinie über Pflanzenschutzmittelhöchstmengen auf Schnittblumen. Das Bundesministerium für Ernährung, Verbraucherschutz und Landwirtschaft erklärt sich für nicht zuständig. „Die Blumen isst man ja nicht, folglich sind sie keine Lebensmittel“, sagt Ministeriumssprecherin Mareike Enderle. Im Gegensatz zu Kosmetik oder Tabak sind Blumen nach der Klassifizierung des Ministeriums auch kein „Bedarfsgegenstand“. Beim Umweltbundesamt wiederum heißt es, Pflanzenschutzmittelrückstände seien ein gesundheitsbezogenes Thema, wofür ausschließlich das Bundesinstitut für Risikobewertung zuständig sei. Und das sieht – anders als LUFA-Experte Martens und MPS-Fachmann Jansen – keinen Handlungsbedarf: Laut einer Stellungnahme vom Juni 2010 kommt das Institut zu der Einschätzung, dass von den in Deutschland gehandelten Schnittblumen kein gesundheitliches Risiko ausgehe. Es stützt sich dabei auf eine Veröffentlichung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit vom März 2010, auf Erkenntnisse der Erfassungsstelle für Vergiftungen und Untersuchungen aus den Jahren 1996 bis 2000. Müssten diese Ergebnisse nicht erneut geprüft werden? „Die Fachabteilung verfügt über keine neuen Erkenntnisse, die eine Überarbeitung der Stellungnahme erforderlich machen“, heißt es bei der Pressestelle des Instituts.
Regionale Ware als Alternative
Da der Gesetzgeber nicht aktiv wird, muss die Branche selbst nach Lösungsmöglichkeiten suchen. Darin liegt auch eine Chance. Der Zentralverband Gartenbau empfiehlt, Blumen aus heimischem Freilandanbau zu bevorzugen. Sind die weniger belastet? Der Verband verweist auf die hierzulande gängige Praxis des integrierten Pflanzenschutzes. Er rät seinen Mitgliedern auch, sich Programmen anzuschließen, die über die gesetzlichen Regelungen hinausgehen. Um mehr biologische Alternativen in der Krankheitsbekämpfung bei Pflanzen einzusetzen, müssten laut Gerhard Gabriel die Beraterkapazitäten der Landwirtschaftskammern ausgeweitet werden und mehr Schulungen stattfinden. „Wie sollen die Berater denn Alternativen zu giftigen Mitteln aufzeigen, wenn sie jahrzehntelang nicht anderes beigebracht bekommen haben?“, sagt der Experte.
Macht es wirtschaftlich Sinn, wieder mehr auf lokale Produktion zu setzen und diese umweltfreundlicher zu gestalten? Norbert Elgner, Marketingspezialist für den Einzelhandelsverkauf von Blumen und Pflanzen, sieht das so: „Wenn die Stimmung umschlägt, haben wir nicht genug Alternativen zu der Importware.“ Auch Rupert Fey, ebenfalls Marketingberater, sieht in der Vermarktung von „Regional“ viel Potenzial, vor allem für Endverkaufsbetriebe. „Vertrauen ist der höchste Wert für Stammkunden“, sagt Fey. „Und Betriebe mit regionalem Bezug sind hier absolut im Vorteil.“ Garry Grueber, Inhaber der Beratungsfirma cultivaris, ist ein wenig skeptischer: Gegen die „Vermassungstendenz“, die industrielle Blumenproduktion, hätten kleine Endverkaufsbetriebe mit Eigenproduktion nur eine Chance, wenn sie mit originellen Vermarktungskonzepten aufwarteten. „Voraussetzung ist allerdings, dass man Kunden hat, die bereit sind, die höheren Kosten zu tragen“, sagt Grueber.
Regionaler Anbau als Alternative zum Blumenimport aus Übersee ist ohnehin nur dann nachhaltig, wenn die Kunden sich am Saisonkalender orientieren, also im Winter keine regionale, energieintensiv produzierte Treibhausware erwarten. Bisher verlaufen die Konsumgewohnheiten asymmetrisch zur Saison: Gerade im grauen Winter verlangt es den Blumenliebhaber nach Farbe im Haus.
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