Wirtschaftsfaktor Rauchen: Süßpflanze Stevia soll Tabakbauern helfen
Abhängig vom Nikotinqualm sind nicht nur viele Raucher, sondern EU-weit auch rund 80000 Tabakbauern, zumeist Familienbetriebe. 11500 weniger sollen es nach dem Plan der EU bis 2013 sein, wenn die Gemeinschaft die Anbau-Subventionen für Tabak endgültig einstellt. Eine wirtschaftliche Alternative, die sich auch positiv auf die Volksgesundheit auswirkt, könnte die kalorienarme Süßpflanze Stevia sein, deren EU-Zulassung in naher Zukunft anstehen könnte.
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Wie europäische Tabakbauern in den neuen Markt einsteigen können, das prüfen Forscher der Universität Hohenheim in einem Modellprojekt gemeinsam mit Wissenschaftlern an anderen Standorten. Die EU gibt dazu 1,5 Mio. Euro. Davon gehen 360000 Euro nach Hohenheim und machen das Projekt zu einem Schwergewicht der Forschung.
Tabak tötet jährlich 650000 Menschen in der EU - davon 80000 Passivraucher. Das Europäische Parlament unterstützt deshalb ein rauchfreies Europa. Jedoch wird in der Europäischen Union noch immer der Tabakanbau aus den Mitteln des Agrarhaushalts gefördert.
Europaweit gab die EU jährlich eine Milliarde Euro für den Tabakanbau aus. In der EU-15 gab es 2005 noch 69510 Tabakbetriebe. Heute existieren davon noch rund 28700 Betriebe. Durch die EU-Erweiterung kamen weitere 52745 Betriebe hinzu, die keine Tabakstützung erhalten. In Deutschland waren es 2009 noch 359 Betriebe, die Tabak anbauen, mit 3094 Hektar Anbaufläche und rund 37 Millionen Euro Umsatz, wobei sich die Hälfte des Tabakanbaues auf Baden-Württemberg konzentriert.
Seit 1972 erzielte die Tabakpflanze - dank Brüsseler Subventionen - einen hohen Marktwertanteil. Dadurch konnten auch kleine Familienbetriebe überleben: in Deutschland offiziell noch 295 Betriebe - die Hälfte davon in Baden-Württemberg.
EU dreht Geldhahn zu
Doch für die Tabakpflanzer sieht die Zukunft weniger rosig aus. Im Jahr 2003 unterschrieb die EU die Rahmenkonvention der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Tabakkontrolle, seit 2005 ist sie internationales Gesetz. Ziele sind den rauchenden Bevölkerungsanteil einzudämmen, als Folge tödliche Erkrankungen zu verringern und den Nichtraucher zu schützen. Ab 2013 dreht die EU deshalb endgültig den Subventionshahn zu, der Tabak billiger machte und die Zigarettenindustrie davon profitieren ließ. "In der EU war der Tabak weltweit am billigsten", so Dr. Udo Kienle vom Hohenheimer Institut für Agrartechnik.
Wegen der schwierigen Situation für die Tabakbetriebe hat sich das EU-Parlament am 19. Mai 2008 erneut mit der Tabakreform befasst. Ursprünglich sollten die Zahlungen schon ab 2010 schrittweise abgebaut werden. "Das hätte praktisch alle Betriebe direkt in den Ruin getrieben. Deshalb fordert der EU Agrarausschuss eine Verlängerung bis 2012. "Die vergleichsweise lange Frist bis 2012 deckt sich mit unseren Empfehlungen", erklärt Dr. Kienle vom Institut der Agrartechnik der Universität Hohenheim. "Klar ist jedoch eines: Wer Tabak anbaut, muss sich jetzt definitiv schon nach anderen Einnahmequellen umsehen."
Bis 2013 will die EU 12000 Betriebe unterstützen, auf den Anbau von Pflanzen umzusteigen, die der menschlichen Gesundheit dienen.
"Problematisch ist, dass viele Betriebe nur wenig Anbaufläche besitzen. Der Tabakpflanzer muss auf Produkte umsteigen, die einen ähnlich hohen Marktwert wie Tabak bringen", erläutert Dr. Kienle die Schwierigkeit. Eine innovative Alternative könnte der Anbau der Süßpflanze Stevia sein.
Süßstoff statt Tabak
Um den Betroffenen eine Hilfe zu geben, beteiligt sich Dr. Kienle zusammen mit anderen europäischen Wissenschaftlern am EU-Forschungsprojekt "Diversification for tobacco growing farms by the alternative crop stevia rebaudiana bertoni" (DIVAS). Ziel ist es, Anbaubedingungen und Marktpotential der Süßpflanze zu testen und Tabakbauern auf eine mögliche Umstellung vorzubereiten. Für den Zeitraum von 2009 bis 2011 stellt die EU insgesamt 1,5 Mio. Euro zur Verfügung. Davon gehen 360000 Euro an die Universität Hohenheim.
"Stevia besitzt große Süßkraft, ist kalorienarm, gut geeignet für Diabetiker und eine natürliche Alternative zum künstlichen Süßstoff", so Dr. Kienle. Ihr einziges Manko: auf dem europäischen Markt ist Stevia bislang noch nicht zugelassen - was sich jedoch in Zukunft ändern könnte: "In Japan und den USA gibt es bereits gute Erfahrungen mit Stevia. Nach langer Prüfung erklärte jetzt auch die EU-Lebensmittelbehörde den neuen Süßstoff als unbedenklich."
Weitere Umstellungsmöglichkeiten
Weitere Alternativen sieht Dr. Kienle unter anderem im Bioanbau von Gemüse, allerdings mit dem Nachteil einer langjährigen Umstellungszeit. Flächenunabhängige Produktionszweige wie Aquakultur und Gewächshäuser bieten weitere Möglichkeiten für den Bauern. Dem stehen aber hohe Investitionskosten bis zu 400000 Euro pro Betrieb im Wege. Auch hier hätte die Umstellung auf den Stevia-Anbau große Vorteile, weil es die kostengünstigste Maßnahme darstellt und vom Einzelbetrieb praktisch keine Zusatzinvestitionen erfordert. Bei Forschungsprojekten in Griechenland, Italien und Spanien, die zum Teil vom EU-Tabakfonds bezahlt wurden, waren gute Erträge erzielt worden.
Weit größere Probleme als für Deutschland erwartet Dr. Kienle in anderen EU-Ländern: "Von dem Subventionsstopp sind insbesondere die südlichen Länder Europas betroffen. Sie sind abhängiger vom Tabakanbau als Landwirte in Deutschland und haben geringere finanzielle Mittel für eine Umstellung auf andere Produkte zur Verfügung. Für manche Regionen in Südeuropa ist die Abkehr vom Tabakanbau ohne wirtschaftliche Alternative ein sehr großes soziales Problem."
Quelle: Universität Hohenheim
(c) DEGA online 29. Mai 2010
Tabak tötet jährlich 650000 Menschen in der EU - davon 80000 Passivraucher. Das Europäische Parlament unterstützt deshalb ein rauchfreies Europa. Jedoch wird in der Europäischen Union noch immer der Tabakanbau aus den Mitteln des Agrarhaushalts gefördert.
Europaweit gab die EU jährlich eine Milliarde Euro für den Tabakanbau aus. In der EU-15 gab es 2005 noch 69510 Tabakbetriebe. Heute existieren davon noch rund 28700 Betriebe. Durch die EU-Erweiterung kamen weitere 52745 Betriebe hinzu, die keine Tabakstützung erhalten. In Deutschland waren es 2009 noch 359 Betriebe, die Tabak anbauen, mit 3094 Hektar Anbaufläche und rund 37 Millionen Euro Umsatz, wobei sich die Hälfte des Tabakanbaues auf Baden-Württemberg konzentriert.
Seit 1972 erzielte die Tabakpflanze - dank Brüsseler Subventionen - einen hohen Marktwertanteil. Dadurch konnten auch kleine Familienbetriebe überleben: in Deutschland offiziell noch 295 Betriebe - die Hälfte davon in Baden-Württemberg.
EU dreht Geldhahn zu
Doch für die Tabakpflanzer sieht die Zukunft weniger rosig aus. Im Jahr 2003 unterschrieb die EU die Rahmenkonvention der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Tabakkontrolle, seit 2005 ist sie internationales Gesetz. Ziele sind den rauchenden Bevölkerungsanteil einzudämmen, als Folge tödliche Erkrankungen zu verringern und den Nichtraucher zu schützen. Ab 2013 dreht die EU deshalb endgültig den Subventionshahn zu, der Tabak billiger machte und die Zigarettenindustrie davon profitieren ließ. "In der EU war der Tabak weltweit am billigsten", so Dr. Udo Kienle vom Hohenheimer Institut für Agrartechnik.
Wegen der schwierigen Situation für die Tabakbetriebe hat sich das EU-Parlament am 19. Mai 2008 erneut mit der Tabakreform befasst. Ursprünglich sollten die Zahlungen schon ab 2010 schrittweise abgebaut werden. "Das hätte praktisch alle Betriebe direkt in den Ruin getrieben. Deshalb fordert der EU Agrarausschuss eine Verlängerung bis 2012. "Die vergleichsweise lange Frist bis 2012 deckt sich mit unseren Empfehlungen", erklärt Dr. Kienle vom Institut der Agrartechnik der Universität Hohenheim. "Klar ist jedoch eines: Wer Tabak anbaut, muss sich jetzt definitiv schon nach anderen Einnahmequellen umsehen."
Bis 2013 will die EU 12000 Betriebe unterstützen, auf den Anbau von Pflanzen umzusteigen, die der menschlichen Gesundheit dienen.
"Problematisch ist, dass viele Betriebe nur wenig Anbaufläche besitzen. Der Tabakpflanzer muss auf Produkte umsteigen, die einen ähnlich hohen Marktwert wie Tabak bringen", erläutert Dr. Kienle die Schwierigkeit. Eine innovative Alternative könnte der Anbau der Süßpflanze Stevia sein.
Süßstoff statt Tabak
Um den Betroffenen eine Hilfe zu geben, beteiligt sich Dr. Kienle zusammen mit anderen europäischen Wissenschaftlern am EU-Forschungsprojekt "Diversification for tobacco growing farms by the alternative crop stevia rebaudiana bertoni" (DIVAS). Ziel ist es, Anbaubedingungen und Marktpotential der Süßpflanze zu testen und Tabakbauern auf eine mögliche Umstellung vorzubereiten. Für den Zeitraum von 2009 bis 2011 stellt die EU insgesamt 1,5 Mio. Euro zur Verfügung. Davon gehen 360000 Euro an die Universität Hohenheim.
"Stevia besitzt große Süßkraft, ist kalorienarm, gut geeignet für Diabetiker und eine natürliche Alternative zum künstlichen Süßstoff", so Dr. Kienle. Ihr einziges Manko: auf dem europäischen Markt ist Stevia bislang noch nicht zugelassen - was sich jedoch in Zukunft ändern könnte: "In Japan und den USA gibt es bereits gute Erfahrungen mit Stevia. Nach langer Prüfung erklärte jetzt auch die EU-Lebensmittelbehörde den neuen Süßstoff als unbedenklich."
Weitere Umstellungsmöglichkeiten
Weitere Alternativen sieht Dr. Kienle unter anderem im Bioanbau von Gemüse, allerdings mit dem Nachteil einer langjährigen Umstellungszeit. Flächenunabhängige Produktionszweige wie Aquakultur und Gewächshäuser bieten weitere Möglichkeiten für den Bauern. Dem stehen aber hohe Investitionskosten bis zu 400000 Euro pro Betrieb im Wege. Auch hier hätte die Umstellung auf den Stevia-Anbau große Vorteile, weil es die kostengünstigste Maßnahme darstellt und vom Einzelbetrieb praktisch keine Zusatzinvestitionen erfordert. Bei Forschungsprojekten in Griechenland, Italien und Spanien, die zum Teil vom EU-Tabakfonds bezahlt wurden, waren gute Erträge erzielt worden.
Weit größere Probleme als für Deutschland erwartet Dr. Kienle in anderen EU-Ländern: "Von dem Subventionsstopp sind insbesondere die südlichen Länder Europas betroffen. Sie sind abhängiger vom Tabakanbau als Landwirte in Deutschland und haben geringere finanzielle Mittel für eine Umstellung auf andere Produkte zur Verfügung. Für manche Regionen in Südeuropa ist die Abkehr vom Tabakanbau ohne wirtschaftliche Alternative ein sehr großes soziales Problem."
Quelle: Universität Hohenheim
(c) DEGA online 29. Mai 2010
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