Interview mit Jens Stechmann
Wie geht es dem deutschen Obstbau?
Äpfel, Birnen, Kirschen, Erdbeeren, Strauchbeeren und vieles mehr – Deutschland erzeugt eine große Vielfalt verschiedener Obstarten. Doch mit welchen Herausforderungen sehen sich die rund 6200 Obstbaubetriebe konfrontiert? Jens Stechmann, selbst Obstbauer und Sachverständiger mit über 45 Jahren Berufserfahrung, gibt im Interview des Portals praxis-agrar.de einen Einblick.
von BZL, praxis-agrar.de erschienen am 06.05.2025
Autor:in
Jens Stechmann
Zu den Arbeitsschwerpunkten von Jens Stechmann zählen die Bewirtschaftung seines 37 Hektar großen Familienbetriebes in 13. Generation in Jork (Altes Land) sowie die Tätigkeit als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger. Stechmann ist bundesweit vernetzt: Als Vorsitzender der Bundesfachgruppe Obstbau, des Bundesausschusses Obst und Gemüse sowie als Aufsichtsratsvorsitzender der Vereinigten Hagelversicherung VVaG steht er in Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen aus dem gesamten Bundesgebiet.
praxis-agrar.de: Worin sehen Sie die größten Stärken der Obstbaubetriebe? Die meisten Obstbaubetriebe in Deutschland sind Familienunternehmen, die eine lange Tradition haben. Dementsprechend ist die Identifikation mit den eigenen Betrieben sehr hoch. Deutschland gilt als Gunststandort, da die Produktionsbedingungen in Bezug auf Boden, Wasser und Klima äußerst vorteilhaft sind. Der Obstbau spielt eine entscheidende Rolle beim Erhalt der Biodiversität und der Artenvielfalt. Die Struktur- und Nahrungsvielfalt innerhalb unserer Obstanlagen ziehen Tiere wie unterschiedliche Vogel- und Insektenarten oder Fledermäuse an. Darüber hinaus prägt er bedeutende Kulturlandschaften, wie beispielsweise das Alte Land oder den Bodensee. Ein weiterer Standortvorteil ist die Nähe zu den Verbrauchenden, wodurch sich Transportkosten reduzieren. Diese Regionalität fördert nicht nur die Wirtschaft, sondern stärkt auch das Vertrauen der Kundschaft in lokale Produkte. Dank kontinuierlicher Forschung und Beratung wird die Obsterzeugung zunehmend effizienter und umweltfreundlicher gestaltet. Zudem passt sich die Arten- und Sortenvielfalt ständig den Wünschen der Verbrauchenden an, was einen dynamischen und anpassungsfähigen Obstbau fördert. praxis-agrar.de: Worin sehen Sie die größten Hemmnisse oder Herausforderungen? Für die Betriebe im Obstbau stellt der Klimawandel sowohl eine erhebliche Herausforderung als auch eine Chance dar. Die Risiken, die durch Extremwitterungsereignisse entstehen, können durch den Einsatz von Frostschutzberegnungsanlagen, Bewässerungssystemen und geschützten Anbauverfahren deutlich minimiert werden. Darüber hinaus haben die Betriebe die Möglichkeit, Obstarten und Obstsorten anzubauen, die bislang hauptsächlich in südlichen Regionen kultiviert wurden, beispielsweise Aprikosen und Pfirsiche an der Niederelbe. Die größten Hemmnisse liegen jedoch im Bereich der Kosten und Auflagen. In den letzten Jahren sind die Betriebskosten, die Energiekosten sowie insbesondere die Lohnkosten erheblich gestiegen. Zudem müssen die Betriebe strenge Auflagen beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, der Wasserentnahme und der Genehmigung baulicher Maßnahmen berücksichtigen. Weitere Hindernisse sind die zunehmende Bürokratie und die steuerliche Belastung der Betriebe, die die wirtschaftliche Situation zusätzlich erschweren. praxis-agrar.de: Welche Themen aus der Forschung sind besonders relevant für die Praxis? Forschung und Beratung sind entscheidende Faktoren für die Weiterentwicklung der Produktion im Obstbau. Es ist wichtig, dass wir praxisrelevante Forschungsansätze verfolgen, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren, die Biodiversität weiter zu fördern und die Betriebe auf die Veränderungen des Klimas und des Marktes angemessen vorzubereiten. Die Beratungsdienste spielen eine zentrale Rolle, indem sie die Forschungsergebnisse direkt in die Betriebe übertragen. Aktuelle Schwerpunkte sind die Minimierung der Lohnkosten durch die Mechanisierung von Arbeitsabläufen wie Pflege, Ernte und Sortierung. Zudem liegt ein Fokus auf der Optimierung der Lagertechnik und den digitalen Möglichkeiten, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu verringern. Innovative Ansätze in der Schädlingskontrolle, Robotik und Ausbringungstechnik werden hierbei zunehmend relevanter. Hier im Alten Land arbeiten die Betriebe sehr intensiv mit dem Obstbauzentrum ESTEBURG in Jork zusammen. Viele Betriebe stellen Versuchsflächen zur Verfügung. So gelingt es Forschung und Praxis miteinander zu verbinden. In meinem Betrieb wurden in den letzten Jahren Versuche zur Ausdünnung und zur Schädlingsbekämpfung durchgeführt. Besonders konnten wir dabei Versuche zur Eindämmung der Nordischen Apfelwanze unterstützen. praxis-agrar.de: Mit Blick auf Ihre jahrzehntelange Erfahrung: Welche Botschaften möchten Sie der nachfolgenden Berufsgeneration mit auf den Weg geben? Der Obstbau in Deutschland bietet vielversprechende Perspektiven. Und die Standortvorteile sind offensichtlich. Es ist entscheidend, dass wir der Gesellschaft bewusstmachen, wie wichtig es für Deutschland ist, den Selbstversorgungsgrad zu erhöhen und die Abhängigkeit von Importen zu verringern. Zudem sollten wir klar vermitteln, dass qualitativ hochwertiges Obst, das unter strengen Umwelt- und Sozialstandards produziert wird, einen angemessenen Wert hat. Die Wirtschaftlichkeit der Betriebe muss dabei stets im Fokus bleiben. praxis-agrar.de: Worauf sind Sie ganz persönlich stolz mit Blick auf Ihren Betrieb unter Ihrer Leitung? Ich bin stolz darauf, dass es mir gelungen ist, den Betrieb erfolgreich in die nächste Generation zu führen. Als dritter Sohn stand ich damals vor der Frage: Gehe ich es an oder beende ich die langjährige Tradition und Generationenfolge? Gemeinsam mit meiner Ehefrau habe ich mich dann für diesen tollen Beruf entschieden und dies bis jetzt nicht bereut. Sich den Herausforderungen stellen, das positive Denken und der Rückhalt in der Familie waren dabei von großer Bedeutung. Wir freuen uns, dass unser ältester Sohn den Betrieb gemeinsam mit unserer Schwiegertochter fortführt. Durch die gärtnerische Ausbildung und das Gartenbaustudium hat er sich das nötige Fachwissen erarbeitet, um den Betrieb in die Zukunft zu führen.
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