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Raimund Korbmacher zur Situation der Blumengroßmärkte

„Wir sind die Schnellboote der Branche"

Auch ohne die Corona-Pandemie stehen die Blumengroßmärkte (BGM) vor großen Herausforderungen, Stichworte sind Onlinehandel, das Sterben der Blumenfachgeschäfte oder die Nachfolgeproblematik der Gartenbaubetriebe. Ist das Geschäftsmodell der BGM also noch zukunftsfähig?
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Rainer Korbmacher wünscht sich wieder mehr Werbung für Blumen und Pflanzen im öffentlichen Raum, hier Außenwerbung des BGM Köln.
Rainer Korbmacher wünscht sich wieder mehr Werbung für Blumen und Pflanzen im öffentlichen Raum, hier Außenwerbung des BGM Köln.BGM Köln
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Herr Korbmacher, die Mitglieder der VDB sind genossenschaftlich organisiert, also organisatorisch und rechtlich ein verlängerter Arm der Genossenschaftsmitglieder, der Gärtner und Großhändler. Nun wurde der Genossenschaft des BGM Stuttgart vom Vermieter, der städtischen Märkte Stuttgart GmbH, der Mietvertrag gekündigt und eine Räumungsklage zugestellt. Ist dies ein Vorgang, der die genossenschaftliche Organisation der BGM insgesamt infrage stellt?

Raimund Korbmacher: Nein, die genossenschaftliche Organisationsform hat sich in unserer Branche bewährt, selbst bei den ganz Großen in unserem Markt legt man Wert auf den genossenschaftlichen Hintergrund. Der Vorgang in Stuttgart ist insofern einzigartig, als dass ein kommunales Unternehmen die Macht als Vermieter ausnutzt und in 50 Jahren erfolgreich aufgebaute privatwirtschaftliche Strukturen zerstört. Für solche Vorgänge wurde der Begriff der „feindlichen Übernahme" geprägt. Es kann doch nicht Aufgabe kommunaler Unternehmen sein, privatwirtschaftliche Organisationen zu verdrängen. Wo leben wir denn?

Abgesehen von dem, was kommunale Unternehmen in einer marktwirtschaftlichen Gesellschaft an Aufgaben zukommen sollte: Können sie aber nicht genauso gut wie eine gärtnerische Blumengroßmarktgenossenschaft die Geschäfte führen?

Raimund Korbmacher: Die wirklichen Branchenprofis sind die Praktiker, sie sitzen in den Genossenschaften, was können Angestellte einer städtischen Firma besser? Die BGM-Kunden und die Anbieter können unter städtischer Leitung nur verlieren. Etwa die Möglichkeit, die seit acht Jahren eingeführte Regionalmarke „Ich bin von HIER!" weiterzuführen. Ebenfalls wird die ständige gegenseitige Information der VDB-Mitglieder, die gerade in der Corona-Krise so wichtig war, wegfallen. Oder auch der Austausch innerhalb der VDB. Jüngst ging es um die gemeinsame Nutzung eines neu entwickelten Kassensystems, Stichwort Synergien. So etwas kann man im genossenschaftlichen Verbund organisieren, unter der Organisation einer städtischen GmbH sind Erzeuger, Großhändler und ihre Kunden bei solchen und ähnlichen Verbesserungen außen vor.

So mancher Blumengroßmarkt liegt zentral auf städtischen Grundstücken, die durch den innerstädtischen Immobilienboom der vergangenen Jahre an Attraktivität und Wert gewonnen haben. Ist es da nicht selbstverständlich, dass die Städte darauf ein Auge werfen?

Raimund Korbmacher: Wir waren beim Beispiel Stuttgart, ich kann nicht erkennen, dass die Lage der Immobilie dort außergewöhnlich attraktiv ist, da liegen wohl andere Gründe vor. Aber natürlich, es stimmt: Großmärkte müssen an zentralen, gut erreichbaren Standorten liegen, das kann nur im Interesse aller, also auch etwaiger städtischer Vermieter sein. Wir spielen eine zentrale Rolle in der Nahversorgung und im Gartenbau wie bei anderen Großmarkterzeugern wird langfristig investiert. So muss dann ebenfalls die Standort-Perspektive sein – langfristig. Aber so wie ich es sehe, gibt es im Moment keine Standortdiskussionen, auch die interne genossenschaftliche Organisation steht außer Kritik. Aktuell drückt der Schuh an anderen Stellen.

Wo drückt er denn?

Raimund Korbmacher: Einmal von den unabsehbaren Folgen der Corona-Krise abgesehen, ist für die Erzeuger unter den VDB-Mitgliedern die CO 2 -Abgabe eine zentrale Herausforderung. Für den deutschen Gartenbau ist das ein Einschnitt, der mit den Ölkrisen in den 1970ern vergleichbar ist. Ich möchte nicht den Teufel an die Wand malen, aber es würde mich nicht wundern, wenn bis zu 40 % der deutschen Gartenbaubetriebe die zusätzlichen Kosten nicht stemmen können. Auf jeden Fall wird der deutsche Gartenbau geschwächt, unter anderem wird die eh schon komplizierte Nachfolgefrage noch schwieriger.

Wenn wirklich noch mehr Betriebe schließen müssten – könnte das die Blumengroßmärkte gefährden?

Raimund Korbmacher: Bisher haben wir gezeigt, dass wir die Herausforderungen meistern konnten. Die Situation ist aber ernst. Die Gesellschaft muss entscheiden: Wollen wir nur noch große, ohne wirkliche Konkurrenz agierende Einheiten und zunehmende Abhängigkeiten von einer immer globalisierteren Wirtschaft? Oder wollen wir ein Stück autark bleiben, wollen wir regionale, nachhaltige Produktion, ein konkurrierendes Miteinander kleiner und mittlerer Produktionseinheiten – also Familienbetrieben? Ich glaube, dass durch die Corona-Krise eine Rückbesinnung auf die eigene „Scholle" erfolgt. Wenn wir aber als Gesellschaft einen funktionierenden deutschen Gartenbau wünschen, dann müssen wir die Unternehmen auch in die Lage versetzen, sich behaupten zu können. Und sie nicht ausgleichslos extrem belasten oder, um ein weiteres Beispiel zu nennen, mit einem bürokratischen Kropf wie dem Pflanzenpass behelligen.

Beim Blumenfacheinzelhandel, einem zentralen Kundenkreis der BGM, sinkt die Anzahl der Geschäfte rapide und kontinuierlich. Können die Blumengroßmärkte den Kundenschwund kompensieren?

Raimund Korbmacher: Einen direkten Einfluss auf die Entwicklung des Blumeneinzelhandels können wir als Blumengroßmärkte nicht nehmen. Kompensieren ließe sich eine abnehmende Bedeutung des klassischen Blumeneinzelhandels möglicherweise durch die Ansprache neuer Zielgruppen, wobei unsere gewachsene Kundenstruktur natürlich nicht infrage gestellt werden darf.

Könnte es ein Weg sein, als Großmarktgemeinschaft unmittelbarer an den Endkunden heranzutreten, etwa über eine Beteiligung auf Wochenmärkten?

Raimund Korbmacher: Es gibt ja bereits zahlreiche Großmarkthändler vor allem im Süden Deutschlands, die auch im Einzelhandel, insbesondere auf Wochenmärkten, aktiv sind. Meine Fantasie reicht aus, um mir in dieser Hinsicht noch viel mehr Kooperationen vorzustellen. So etwas sollte aber auf der Ebene der Erzeuger und Großhändler bleiben, idealerweise mit kompetenten Partnern aus dem Blumeneinzelhandel. Allerdings: Die Großmarkthändler sind zeitlich eh schon sehr eingebunden. Es ist auch immer schwierig, Diener zweier Herren zu sein. Ein direktes Engagement der Blumengroßmärkte sehe ich als schwierig an. Aber klar: Warum sollte nicht eine Gruppe von Großmarktanbietern ein gesundes Blumeneinzelhandelsgeschäft weiterführen, das vor der Schließung steht, weil kein Nachfolger gefunden wird? Wenn die richtigen Partner zusammenfinden, kann so etwas klappen.

Die angesprochene Nachfolgefrage stellt sich bei den Gärtnern wie bei den Floristen. Warum gelten die Berufe als unattraktiv? Liegt das nur an den Arbeitsbedingungen und der Bezahlung?

Raimund Korbmacher: Sicher auch, bedeutend ist ebenfalls das mangelnde Ansehen in der Gesellschaft. Wobei es um die Berufsgruppen geht, nicht um die Produkte. Blumen und Pflanzen sind gesellschaftlich hoch angesehen, sie haben ein uneingeschränkt positives Image. Die, die damit arbeiten, aber nicht. Gärtner und Floristen gehören zu den Branchen, die – etwa im Gegensatz zu den Köchen – keine in der breiten Öffentlichkeit bekannten Lichtgestalten hervorgebracht haben. Kaum jemand „glänzt" für die grüne Branche, steht mit seinem Erfolg für einen erstrebenswerten Berufsweg. Zudem sind Blumen und Pflanzen auch werblich kaum erkennbar. Im Straßenbild sind die Produkte nur über die Geschäfte präsent, aufmerksamkeitsstarke Kampagnen von Herstellern oder Händlern gibt es kaum. Die von unseren Blumengroßmärkten zu Saisonspitzen gestarteten Endverbraucher-Kampagnen reichen allein nicht aus, um über die Produkte hinaus der grünen Branche mehr Glanz zu verleihen.

Das hört sich so an wie der Ruf nach einer CMA, die für die Gesamtbranche Kampagnen startet.

Raimund Korbmacher: Nun ja, was können Verbände wie der ZVG oder der FDF allein werblich ausrichten, was unternehmen sie, um die Berufe Gärtner und Florist in ihrem Ansehen zu stärken? Auf jeden Fall zu wenig, der Imageverlust wird seit langen Jahren immer größer. Die grüne Branche ist kleinteilig. Wenn dies werblich nicht überwunden wird, wenn jeder Verband, jedes größere Unternehmen weiterhin nur das eigene Süpplein kocht, dann kommt keine ausreichende Durchschlagskraft zusammen. Daher plädiere ich dafür, so etwas wie die CMA wieder ins Leben zu rufen, auch mit einer berufsbezogenen Abgabe. Wenn die Landwirte nicht mitmachen wollen, sollten sich die Gartenbauunternehmen allein engagieren.

Wo sehen Sie die Vorteile der BGM gegenüber anderen Anbietern?

Raimund Korbmacher: Die Frage können unsere Kunden am besten beantworten. Die werden den Sichtkauf nennen, der für alle Einkäufer, die auf Qualität setzen, alternativlos ist. Ein weiterer Aspekt ist die Vielfalt, die zahlreichen Spezialitäten auf den BGM, die man im Onlinehandel oder in Abholmärkten vergeblich sucht. Frische ist ein weiterer Punkt, unsere Erzeugerware wird nicht quer durch die Republik gekarrt. Das führt direkt zur Regionalität, deren Wert in den Augen der Konsumenten stetig zunimmt. Ganz entscheidend ist auch das Vertrauensverhältnis. Unsere Anbieter sehen ihre Kunden regelmäßig, allein dadurch ergibt sich ein hohes Maß an Seriosität. Durch den direkten Kontakt sind auch Produktionsabsprachen möglich, undenkbar im Onlinehandel oder in Abholmärkten. Zumal mittelgroße Erzeugerbetriebe viel schneller auf Trends reagieren können als die großen Tanker der Branche. Eine unserer größten Stärken ist die unmittelbare Nähe zum Kunden. Wir sind die Schnellboote der Branche!

Und was spricht aus Sicht der Gärtner für die Vermarktung über die BGM?

Raimund Korbmacher: Unsere Erzeuger unterliegen nicht unmittelbar dem Diktat, das vom Systemhandel an ihren Zulieferer weitergegeben wird und dann bei den dort anliefernden Gärtnern landet. Vor Ostern wurde etwa auf dem BGM Hamburg eine spürbare Nachfrage nach neuen Marktausweisen wahrgenommen, weil Einzelhändler, die bisher direkt über die Niederlande beliefert wurden, in Schwierigkeiten kamen.

Wo sehen Sie denn Wachstumsfelder für die BGM?

Raimund Korbmacher: Produktseitig ist vieles nicht planbar, Wachstumsfelder ergeben sich ja aus der Verbrauchernachfrage. Wer hätte vor drei, vier Jahres gedacht, dass getrocknete Floralien heute solch einen Boom erleben? Wir können aber schnell auf solche Trends reagieren, schneller als andere. Wachstum sehe ich auch überall dort, wo wir mit Serviceangeboten unseren Kunden helfen können. Wachstum sehe ich auch mittel- und langfristig in einer neuen Wertschätzung der Natur. Vor 20 Jahren galt der großstädtischen Jugend ein Schrebergarten als Sinnbild für Spießigkeit. Das wird heute komplett anders gesehen. Oder grüne Zimmerpflanzen. In den Nullerjahren galten sie als Staubfänger, heute ist selbst der Gummibaum wieder hip. Die Einzelhandelsstruktur in unserer Branche unterliegt Veränderungen. Die Produkte werden aber bleiben und je technisierter der Alltag, desto größer der Wunsch nach einem natürlichen Ausgleich.

 

Der Interviewpartner

Raimund Korbmacher, Jahrgang 1961, ist seit über 25 Jahren Geschäftsführer des Blumengroßmarkts Köln, davor nahm er zehn Jahre lang die Interessen des Blumengroßmarkts Ulm wahr. Korbmacher stammt aus einem Gartenbaubetrieb in Westfalen-Lippe, vor seiner Zeit in Köln hat er vielfältige Erfahrungen bei Verkauf und der Vermarktung von grünen Produkten gemacht. Der Vater von drei Kindern ist seit mehr als zehn Jahren Vorstandsvorsitzender der Vereinigung Deutscher Blumengroßmärkte (VDB).

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