Wissenschaftler fordern Sofortmaßnahmen gegen Artenschwund
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Ganze Landstriche ohne bestäubende Insekten sind in China Wirklichkeit. Dort müssen Bäume und Pflanzen von Hand bestäubt werden. Neueste Forschungsergebnisse zeigen: Auch bei uns ist der Bestand von Wildbienen und anderen Insekten drastisch gesunken. Wenn dieser Trend sich fortsetze, so Experten, sterben sie in weniger als zehn Jahren aus. Die Folgen wären eine ökologische Katastrophe, die auch massive wirtschaftliche Schäden für die Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion mit sich bringen würde. Daher unterzeichneten 77 Forscher bei einer Biologen-Fachtagung des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart und der Universität Hohenheim eine Resolution an Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks. Sie fordern Sofortmaßnahmen, um den drastischen Rückgang von Wildbienen und anderen Insekten zu stoppen.
Die Forscher verlangen ein vollständiges Verbot von Insektengiften der Gruppe der Neonicotinoide bis zum wissenschaftlich sauberen Nachweis ihrer Umweltverträglichkeit. Außerdem fordern sie Maßnahmen zur Erhöhung der Strukturvielfalt in der Kulturlandschaft wie eine Verbesserung des Blütenangebots, sowie ein Langzeit-Monitoring von Insekten, insbesondere Wildbienen. Das soll ermöglichen, gefährdete Bestände zukünftig besser zu lokalisieren und rechtzeitig Gegenmaßnahmen einzuleiten.
„Die Experten sind sich einig, dass nur durch schnelles Handeln zum Schutz der Insekten der Artbestand gerettet werden kann. Wir hoffen, dass durch unsere Resolution in der Öffentlichkeit der Ernst der Lage erkannt wird und die Politik Maßnahmen ergreift“, so Dr. Lars Krogmann, Wissenschaftler am Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart.
Neonicotinoide sind hochwirksam gegen Insekten. Sie gelten als neues Mittel der Wahl gegen Schädlinge wie Blatt- und Schildläuse, Schmetterlinge, Zikaden und Käfer. Auf Honigbienen zeigte das Nervengift zunächst keine tödliche Wirkung. Daher sahen die Verantwortlichen auch keinen Grund, die neuen Pestizide nicht zuzulassen. Mittlerweile gibt es jedoch zahlreiche Untersuchungen, die Langzeitwirkungen aufzeigen und eine Anreicherung von Neonicotioniden in Ackerböden selbst bei vorschriftsgemäßer Anwendung. Eine aktuelle Studie weist nach, dass die Bestände bestimmter Wildbienenarten, die bereits auf der Roten Liste der bedrohten Arten stehen, drastisch zurückgehen: „In manchen Gegenden um bis zu 75 Prozent in einem Zeitraum von zehn Jahren“, erklärt der Tierökologe Prof. Dr. Johannes Steidle von der Universität Hohenheim. „Das ist Alarmstufe Rot.“
Die Insekten sterben nicht sofort. „Aber offenbar sind sie geschwächt. Ihre Lernfähigkeit ist vermindert, sie können nicht mehr so gut riechen, und es wurde beobachtet, dass bei Honigbienen der Bienentanz gestört ist. Die Folge ist, dass die Populationsgröße immer weiter abnimmt. Wildbienenarten sind aber für die Bestäubung extrem wichtig. Andere parasitische und räuberische Insektenarten sorgen für ein natürliches ökologisches Gleichgewicht, damit Schadorganismen nicht Überhand nehmen. Diese biologische Kontrolle ist in Gefahr“, so Prof. Dr. Steidle.
Forschungsergebnisse belegen, dass vor allem die intensive Landwirtschaft zum Insektensterben beiträgt. „Kollegen aus Nordrhein-Westfalen untersuchen Insektenbestände über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren und beobachten, dass immer mehr Arten aussterben und die Insektenzahl insgesamt zurückgeht“, sagt der Entomologe Dr. Krogmann. Die intensive Landwirtschaft führe nicht nur dazu, dass sich die Vielfalt der Landschaft reduziert, was fatale Auswirkungen auf die Biodiversität hat. Auch Überdüngung und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln setze den Insektenbeständen zu. Diese Entwicklung habe sich seit dem Jahr 2000 dramatisch beschleunigt.
Die Resolution zum Schutz der Insekten wurde im Oktober 2016 bei der 12. Hymenopterologen-Tagung, einer Biologen-Fachtagung zum Thema Hautflügler (zu denen Bienen, Wespen und Ameisen gehören), in Stuttgart unterschrieben. Die 77 anwesenden Experten unterzeichneten die Resolution an die Bundesumweltministerin. Hauptforderungen der Resolution sind:
Ein vollständiges Verbot von Neonicotinoiden, mindestens aber ein vollständiges, ausnahmsloses Moratorium für ihren Einsatz bis zum wissenschaftlich sauberen Nachweis ihrer Umweltverträglichkeit.Die Erhöhung der Strukturvielfalt in der Kulturlandschaft, beispielsweise durch Etablierung eines Blüten-Managements.Die Einführung eines Langzeit-Monitorings von Insekten auf repräsentativen Flächen in Deutschland.Eine Änderung der Bundesartenschutzverordnung: Einführung eines strengeren Schutzstatus für hochgradig gefährdete Insektenarten wie Wildbienen, entsprechend den Gefährdungskategorien der Roten Liste Deutschlands.
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