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Interview mit Kathrin Meyer

„Alles lässt sich auf Pflanzen zurückführen"

Unter dem Titel „Von Pflanzen und Menschen – Ein Streifzug über den grünen Planeten" erkundet das Deutsche Hygiene-Museum Dresden in einer vielseitigen Ausstellung das Leben von Pflanzen und Menschen mit ihrer ungleichen Freundschaft. Jens Haentzschel sprach mit Kathrin Meyer, Kuratorin der Ausstellung.
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Plakatmotiv der Ausstellung: Karen Cantú: The Knitting Stranger (2018)
Plakatmotiv der Ausstellung: Karen Cantú: The Knitting Stranger (2018)Karen Cantú
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DEGA GARTENBAU: „Pflanzen" und „Menschen" sind zwei komplexe Themen, die Sie in der Ausstellung zusammengefasst haben. Wie kamen Sie dazu?

Kathrin Meyer : Wir haben uns zunächst gefragt, ob das überhaupt ein Thema für uns ist. Wir heißen ja im Untertitel „Das Museum vom Menschen". Aber uns wurde schnell klar, dass es überfällig ist, eine Ausstellung zu Pflanzen und Menschen zu machen: Themen wie Klimawandel, Artensterben und neue Erkenntnisse der Forschung über Lebensweisen der Pflanzen führen uns auf anderem Wege „zurück zur Natur". Es gibt zudem eine Hinwendung zur Pflanze in den Geisteswissenschaften und allgemein wird die Stellung des Menschen als Krone der Schöpfung längst hinterfragt.

Nun bleibt es komplex. Wie haben Sie sich dieser Herausforderung gestellt?

Kathrin Meyer : Die Ausstellung hat sich in der Entwicklung gewandelt. Anfangs gingen wir von Orten aus wie dem Garten, dem Haus oder dem Labor. Aber das sind Orte des Menschen, an denen Pflanzen eher Mittel zum Zweck sind. Uns ging es aber um die Pflanze als Lebewesen und darum, die pflanzlichen Wurzeln der menschlichen Kultur unter die Lupe zu nehmen. Der Garten kommt bei uns zwar vor, aber eher als Metapher für die ganze Welt, die wir bewohnen, die unser aller Garten ist und der wir mit mehr Fürsorge begegnen können.

DEGA GARTENBAU: Haben Sie einen ganz persönlichen Zugang zu Pflanzen?

Kathrin Meyer : Es ist ein Herzensthema, auch wenn ich noch keinen eigenen Garten habe. Aber ich habe als Kind viel Zeit im Schrebergarten meines Großvaters verbracht. Das hat mich sehr geprägt: die genaue Auswahl der Sorten, das Leben nach den Jahreszeiten, das Sorgen für Pflanzen und Bodenleben und die Freuden der Ernte. Während der Vorbereitung der Ausstellung haben meine Kolleginnen und ich uns tatsächlich auch im Garten betätigt. In diesem Fall war es der Museumsgarten. Wir haben Methoden des ökologischen Gärtnerns ausprobiert und am Ende sogar Melonen ernten können. Ich habe so noch mal ganz andere Zugänge zum Thema gefunden.

Die Worte „Pflanzen" und „Menschen" führen einen ja direkt in die Arme von Gärtnern und zum Thema Gartenbau. Welche Rolle spielt diese Branche?

Kathrin Meyer : Sie darf nicht fehlen. Wir widmen uns im Kapitel „Saat und Ernte" Fragen der Landwirtschaft, der Nutzung von Pflanzen, aber auch der Züchtung und dem Anbau zum Beispiel von Heilpflanzen. Es geht auch um Vereine, die sich um die Sortenvielfalt bemühen. ProSpecieRara kümmert sich in der Schweiz um gefährdete Nutztierrassen und Kulturpflanzen. Oder der Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen in Brandenburg (VERN) erhält rund 2000 alte Nutzpflanzensorten und hält sie für die Allgemeinheit einfach zugänglich. Wir thematisieren in der Ausstellung auch die Fragen nach alten Sorten und Pflanzenzüchtung. Zum Beispiel, was Ziele der Züchtungen sind. Die Künstlerinnen Åsa Sonjasdotter und Elske Rosenfeld beschreiben jede Züchtung als Kooperation zwischen Pflanze und Mensch. Wir stellen ihr Projekt zur Entstehungsgeschichte der Kartoffelsorte „Adretta" aus, die 1975 in der DDR gezüchtet wurde.

Wie ist die Ausstellung konzipiert? Die vergangenen Sonderausstellungen haben mich immer auch aufgrund der Architektur der Räume begeistert.

Kathrin Meyer : Die Gestaltung liegt uns immer sehr am Herzen, das stimmt. Die Ausstellung erstreckt sich über drei Räume. Wenn man am Ende angekommen ist, fügen sich die einzelnen Raumbilder zu einem Ganzen: zu einer Blume. Zu Beginn trifft der Besucher auf Wurzel und Stängel. Hier geht es um die Erforschung der Pflanzen in Botanik und Pflanzenphysiologie. Es geht um Fragen wie: Mit welchen Methoden machen wir uns Pflanzen verständlich? Wir verändert sich das Wissen mit dem technischen Fortschritt? Wie interpretieren wir Pflanzen im Verhältnis zum Menschen? Wir thematisieren hier auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse der Biologie über Wahrnehmungsfähigkeiten von Pflanzen.

Dann geht es sicher um die Blätter und damit auch um Saat und Ernte?

Kathrin Meyer : Genau. Der zweite Teil widmet sich dem Thema Heilpflanzen, gefolgt von Pflanzenzüchtung und landwirtschaftlichen Zukunftsperspektiven. Der Anbau von Pflanzen ist ein wichtiger Grund, warum der Mensch sesshaft geworden ist, und die Grundlage unserer Kultur und Lebensweise. Anschließend geht es um die angespannte Situation des Waldes, der zugleich Lebensraum, Kohlenstoffsenker und Rohstofflieferant ist. Im dritten und letzten Teil steht dann die Blüte im Vordergrund. Hier geht es unter anderem um die ökologische Perspektive des Zusammenlebens von Pflanzen, Menschen und anderen Lebewesen im gemeinsam geteilten „planetarischen Garten".

Auf was für Exponate sind Sie besonders stolz?

Kathrin Meyer : Wir betreuen in unserem Haus auch die Sammlung Schwarzkopf zur Geschichte der Schönheits- und Körperpflege. Teil dieser Dauerleihgabe ist ein Haargarten, der noch nie ausgestellt wurde und den wir eigens für unsere Ausstellung restauriert haben. Es ist ein kleiner Garten, rund 60 × 40 cm, im dem alle Bestandteile aus Echthaar gefertigt wurde, also Palmen, Tiere und Blumen. Wir sind stolz, dieses Exponat erstmalig zeigen zu können. Neben solchen kulturhistorischen Schätzen bin ich besonders stolz auf Ausstellungsstücke aus der aktuellen Forschung. Diese Gegensätze sind aufregend, denn sie erzählen so viel über die verschiedenen Wege, sich die Welt begreiflich zu machen und sich in ihr einzurichten.

In den vergangenen beiden Ausstellungen über „Das Gesicht" und „Die Sonne" gab es Filmausschnitte aus James-Bond-Filmen. Hat es der Geheimagent auch in die neue Ausstellung geschafft?

Kathrin Meyer : Nein, aber in der Tat kommt auch diesmal Kino vor und zwar das Genre

„Pflanzenhorror". Wir zeigen unter anderem einen Ausschnitt aus dem Film „The Lonesome Death of Jordy Verrill" von George A. Romero. Da geht es um eine Alge aus dem All, die einen Menschen befällt. Solche Filme spielen mit unseren Ängsten: Was wäre, wenn Pflanzen sich gegen uns wenden würden und sich herausstellt, dass wir sie nicht kontrollieren können?

Gibt es denn auch echte Pflanzen in der Ausstellung?

Kathrin Meyer : Wir haben das immer wieder überlegt und geprüft. Aber die Ausstellung dauert ein Jahr und Experten haben uns abgeraten, Lebendes ins Museum zu stellen. Einen Versuch machen wir nun aber doch: Wir zeigen eine Hermetosphäre, das ist ein geschlossenes, autarkes Ökosystem für ausgewählte Pflanzen- und Tierarten. Eine kleine Welt in der Welt.

Nun liegt die Hauptarbeit der Vorbereitung und Beschaffung von Exponaten hinter Ihnen. Wie hat sich Ihr Blick auf Pflanzen verändert?

Kathrin Meyer : Für mich haben sich gleich mehrere Sichtweisen verändert. Ich nehme viel mehr wahr, wie lebensfeindlich unsere Umwelt geworden ist. Bäume und Brachflächen weichen Neubauten, Grünflächen werden konsequent kurz gemäht und immer ohne Rücksicht auf Insekten und andere Arten. Aber ich sehe auch mehr Möglichkeiten, was mit einfachen Mitteln zum Besseren verändert werden könnte. Durch die Arbeit an der Ausstellung ist mir bewusster geworden, wie stark vernetzt die Lebewesen untereinander sind und wie „das Gewebe der Pflanzen der Welt angehört als eine ihrer Grundschichten", wie der Dichter Francis Ponge es schreibt. Ich sehe die Welt definitiv mit anderen Augen als vorher.

Was für einen Blickwechsel gibt es in Bezug auf den Menschen in dieser Pflanzenwelt?

Kathrin Meyer : Pflanzen sind der blinde Fleck unserer Kultur. Wir wollen alles nach unseren Vorstellungen formen, berauschen uns an unserer Gestaltungsmacht und haben nicht im Blick, wie wichtig Pflanzen für uns sind. Das betrifft sämtliche Lebensbereiche, denn alles lässt sich in letzter Konsequenz auf Pflanzen zurückführen. Der Mensch ist mal Nutzer, mal Gestalter, aber immer abhängig: Ohne Pflanzen können wir nicht leben, denn sie produzieren die Luft, die wir atmen. Ob wir wollen oder nicht: Pflanzen sind die Grundlage unserer Existenz.

Die Fragen für DEGA GARTENBAU

stellte Jens Haentzschel , Erfurt

Info

Die Ausstellung in Dresden

Die Ausstellung „Von Pflanzen und Menschen – Ein Streifzug über den grünen Planeten" läuft vom 19. April 2019 bis zum 19. April 2020 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden. Die Öffnungszeiten sind von Dienstag bis Sonntag sowie an Feiertagen (aber nicht am 1. Januar, 24. und 25. Dezember) jeweils von 10 bis 18 Uhr.

Die Interviewpartnerin
Kathrin Meyer Nach dem Studium der Kulturwissenschaften und Ästhetischen Praxis an der Universität Hildesheim war Kathrin Meyer zunächst für Kunstgalerien in Barcelona, Berlin und New York tätig. Von 2013 bis 2015 leitete sie den Kunstverein Hildesheim. Kathrin Meyer kuratierte zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen. Zwischen 2012 und 2015 unterrichtete sie als Lehrbeauftragte an der Universität. Seit August 2015 kuratiert sie Ausstellungen am Deutschen Hygiene-Museum Dresden, zuletzt 2017 die Sonderausstellung „Das Gesicht. Eine Spurensuche".
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