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Blumengroßmarkt Stuttgart

Die Gemeinschaftsidee ist gefährdet

Die Stadt Stuttgart ist zu groß, um von einer Provinzposse zu sprechen. Und eine Posse ist es eigentlich auch nicht, schon eher eine Tragödie. Eine Tragödie rund um den Blumengroßmarkt Stuttgart und die fast 50 anliefernden Gartenbaubetriebe der Region.
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Eine Gärtnergenossenschaft hat sich auch in Stuttgart als ideale Organisationsform erwiesen.
Eine Gärtnergenossenschaft hat sich auch in Stuttgart als ideale Organisationsform erwiesen.BGM Stuttgart
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Der Blumengroßmarkt Stuttgart wird seit 51 Jahren von einer Gärtnergenossenschaft (eG) geführt. Die drei eigenen und eine angemietete Halle stehen auf städtischem Grund. Die (nicht alle) Mietverträge mit der Genossenschaft wurden von dem zuständigen kommunalen Unternehmen als Vermieter, der Märkte Stuttgart GmbH, im März 2018 gekündigt, am 11. Dezember 2019 wurde eine Räumungsklage zugestellt. Das Ganze landete vor dem Landgericht Stuttgart, das nach einer Anhörung am 3. März 2020 die Räumungsklage für rechtens befand. Die Genossenschaft brachte den Fall vor das Oberlandesgericht, dort ist ein erster Verhandlungstermin am 7. August vorgesehen.

Schon im Mai wurde die Gärtnergenossenschaft von dem kommunalen Unternehmen darüber informiert, dass die Büros und weitere Räume zu räumen seien und die Märkte Stuttgart GmbH am 2. Juni 2020 die Räumlichkeiten und Geschäfte übernehmen würden. Dem wurde sofort von der Genossenschaft entsprochen, Computeranlage, Telefon, die komplette Büroeinrichtung wurden in andere, genossenschaftseigene Räumlichkeiten verlegt. Dann kam am 26. Mai eine Wende: Der Gerichtsvollzieher teilte der Genossenschaft mit, dass der Räumungstermin am 2. Juni 2020 auf Antrag des Gläubigers zurückgenommen wurde. Der schnelle Umzug war also völlig unnötig. Vom Rechtsanwalt der Genossenschaft wurde der Rückzug des Vermieters aber nicht als endgültiger Verzicht auf die Zwangsvollstreckung gewertet.

All das änderte nichts an der recht einmaligen Situation, dass die Märkte Stuttgart GmbH mit der gerichtlich bestätigten Räumungsklage offiziell die Leitung des Blumengroßmarkts übernommen hatte, obwohl sie zu dem Zeitpunkt mit den Erzeugern und Großhändlern überhaupt keine Mietverträge hatte. Alle Mietverträge der Marktbeschicker wurden ja mit der Gärtnergenossenschaft abgeschlossen, die Mietzahlungen für den Monat Juni gingen auch dort ein.

Blick in den Rückspiegel

Um zu wissen, wie der Stein ins Rollen kam, muss man ins Jahr 2015 zurückgehen. Damals gab es erste Gespräche über die von der Genossenschaft auf städtischem Grund errichtete Kundenladehalle, da diese saniert werden musste. Gesprächspartner waren die Gärtnergenossenschaft, die Vermieter Märkte Stuttgart GmbH und das auf dem Gelände ebenfalls ansässige Unternehmen Landgard. „Die Kunden aller Beteiligten nutzen diese Halle, daher war unsere Position, dass sich auch alle an den Sanierungskosten beteiligen sollten", erinnert sich Gert Hieber, geschäftsführender Vorstand der Gärtnergenossenschaft. Die Sanierungskosten wurden mit knapp einer Million veranschlagt, die finanzielle Beteiligung wurde aber abgelehnt.

Daraufhin stellte der kommunale Vermieter einen neuen Plan vor. Danach sollte ein völlig neuer Blumengroßmarkt auf einem vorgelagerten Parkplatz gebaut werden. Die Kosten hätte die Stadt übernommen und die neuen Hallen an die Gärtnergenossenschaft und Landgard vermietet. Zwei Jahre wurde verhandelt – ergebnislos. Zuerst lehnte Landgard aus Kostengründen den Plan ab, nach einem für dieses Projekt erstellten Businessplan lehnte auch die Gärtnergenossenschaft ab.

Die nächste Idee: Die Stadt könne die sanierungsbedürftige Ladehalle für 1 Euro kaufen und dann selbstständig sanieren. Ebenfalls abgelehnt, in diesem Fall von dem damaligen Stuttgarter Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU), der später ins Kultusministerium wechselte. Der gewählte Finanzbürgermeister ist Aufsichtsratsvorsitzender der IN-Stuttgart. Dies wiederum ist die der Märkte Stuttgart GmbH vorgelagerte Gesellschaft.

Was dann folgte, wurde weiter oben schon angerissen: Im März 2018 kam es zur Kündigung der Mietverträge. Allerdings nur für die drei Vermarktungshallen, der Mietvertrag für die Ladehalle, dem eigentlichen Stein des Anstoßes, läuft noch bis 2026. Was gegenwärtig bedeutet, dass die Ladehalle zwar von allen Kunden genutzt wird, die Kosten aber allein bei der Genossenschaft auflaufen. „Auch Landgard hat seine anteilmäßigen Zahlungen eingestellt", erläutert Gert Hieber die Situation.

Mit Eingang der Kündigung wurde die Gärtnergenossenschaft vom kommunalen Vermieter aufgefordert, für die eigenen Immobilien (zwei Vermarktungshallen und die Ladehalle) eine finanzielle Bewertung vorzulegen. Die Märkte Stuttgart GmbH wollte die Immobilien kaufen, um sie dann wieder zu vermieten. Das am 20. November 2018 vorgelegte Gutachten der Gärtnergenossenschaft kam auf einen Wert von 3,8 Millionen. Ein Gegengutachten des kommunalen Vermieters kam auf 421.000 Euro. Klar, dass man sich bei dieser Differenz wieder nicht einigen konnte.

Friss oder stirb?

Für die über den Blumengroßmarkt vertreibenden Gartenbauunternehmer und Großhändler stellt sich nun die Frage: Wenn die Märkte Stuttgart GmbH Einzelverträge für die Marktbeschicker anbieten, können diese dann möglicherweise aufgrund nicht zufriedenstellender Konditionen abgelehnt werden? Eher nicht, die unternehmerische Existenz hängt ja an diesem Marktplatz. Zumal es für viele Beteiligte die einzige Vertriebsmöglichkeit ist. Es gibt also so etwas wie ein gewisses unausgesprochenes Erpressungspotenzial. Der Volksmund sagt: Friss oder stirb. Es geht um fast 50 Erzeugerbetriebe mit rund 300 Mitarbeitern. Es geht auch um die Einkaufsmöglichkeit von über 1.000 Kunden, die für über 25 Millionen Euro Umsatz sorgen. Es geht um den Blumeneinzelhandel in einem Einzugsgebiet von Schwäbisch Hall über Ulm bis ins Allgäu, vom Bodensee bis zum Schwarzwald. Als der „Blumengroßmarkt Stuttgart eG" 1969 gegründet wurde, war dies kein Zufall. Gärtnergenossenschaften haben sich als ideale Organisationsform für Blumengroßmärkte erwiesen. In einer Selbstverwaltung organisieren dort Fachleute (Genossenschaftsvorstand) die gemeinsamen Aufgaben für Fachleute (Gärtner, Großhändler). Alle aus der gleichen Branche, da kann und will keiner dem anderen etwas vormachen. Daher gestand in der ursprünglichen Vereinbarung aus dem Jahr 1969 die Stadt Stuttgart der Gärtnergenossenschaft auch das alleinige Vermarktungsrecht für Blumen zu, erinnert Gert Hieber an damals geschlossene und bis zur Mietvertragskündigung 2018 gültige Verträge.

Mit einer Stimme sprechen

Welche Vorteile könnte es für das kommunale Unternehmen geben, wenn es wie auch auf dem benachbarten Obst- und Gemüsegroßmarkt üblich viele Dutzend Einzelmietverträge und nicht den einen mit der Gärtnergenossenschaft gibt? Erhard Braun, Berater und zuständiger Prüfer des Genossenschaftsverbands beim Blumengroßmarkt Stuttgart, hat solch eine Auseinandersetzung noch nicht erlebt und verweist darauf, dass es bei der Vielzahl der Genossenschaften nur wenige kommunale Vermieter gibt.

Eine Übernahme würde viele Fragen aufwerfen

Sollte es wirklich zu einer Übernahme des Blumengroßmarkts durch die Märkte Stuttgart GmbH kommen, werden sich viele Fragen stellen. Etwa: Wenn Anbieter aus Altersgründen aufhören – wer sorgt dann dafür, dass solche Lücken adäquat gefüllt werden? Haben die Angestellten des kommunalen Unternehmens so intensive Kontakte in die Branche, um dabei erfolgreich zu sein? Was passiert bei größeren Investitionen, die die Anbieter für notwendig halten, die Märkte Stuttgart GmbH aber nicht? Wer produziert die kostenlosen Werbemittel für Kunden, wer betreibt die Werbung für den Standort, wer organisiert die Frühjahrs- und Herbstmessen, wer die Prüfungsdurchführungen und Fach-Events für Floristen, wer die Schulungen für Kunden und Anbieter, wer stellt die statistischen Daten für die Brancheninstitutionen und Behörden zusammen, wer betreut die Regionalmarke „Ich bin von HIER!"? Einen Blumengroßmarkt erfolgreich zu führen beinhaltet mehr, als Verträge über die Toilettenreinigung abzuschließen oder die Eingangsprüfung der Mietzahlungen.

Bleibt noch die übergeordnete Frage nach den Aufgaben städtischer Unternehmen. Ist es nicht eher unglücklich, wenn ein kommunales Unternehmen in Konkurrenz zur Privatwirtschaft tritt? Sicher, es gibt allgemein anerkannte, weil übergeordnete gesellschaftliche Aufgaben, die kommunal/staatlich gelöst werden sollten. Die Sicherheitsfrage ist so ein Bereich, die Infrastruktur, die Corona-Pandemie hat exemplarisch gezeigt, dass auch das Gesundheitssystem dazu gehört. Selbst die Organisation von Stadtbädern und Jugendfreizeitorten mag Teil davon sein. Aber die Führung eines Blumengroßmarkts, ist das auch eine originäre kommunale Aufgabe?

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