Blumen und Pflanzen und Gärten sind so wichtig wie noch nie
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EEinen schwarzen Tag erlebte ich einen Tag nach dem katastrophalen 9/11 2001. Ich war mit einer verstörten deutschen Schulklasse im Rahmen des Projekts „Zeitung in der Schule" der Süddeutschen Zeitung in der damals größten Blumenversteigerung im niederländischen Aalsmeer. Eigentlich wollten wir uns ansehen, wie Millionen Blumen und Pflanzen in den gigantischen hörsaalähnlichen Räumen ihren Weg in die Blumengeschäfte Europas beginnen. Die Stimmung auf dem Parkett wie in unserer Gruppe war panisch desaströs. Nichts ging und man erklärte den jungen Menschen, dass nun Millionen Blumen in die Vernichtung gerollt werden. Die pubertierende Gruppe Schülerinnen und Schüler traute ihren Ohren nicht. Es schrie und kollabierte unter Tränen, man wollte die Blumen retten wie die Versuchstiere im Labor. Das Ganze war unerhört emotional. Nach der schrecklichen Informationswelle des Vortages waren die farbenfrohen Blumenmassen ein Sinnbild für die Hoffnung, mit dem Unglaublichen umzugehen. Die Vorstellung, dass man sie zerstören würde, war schlicht nicht zu fassen. Auch für mich war diese Nachricht höchst verstörend und so heulten wir gemeinsam, Jungen und Mädchen und ihre Begleiter.
Das Desaster des Blumenmarktes von damals war ein sehr Vorübergehendes und schon nach wenigen Tagen hatten sich die Märkte nach tiefem Durchschnaufen wieder erholt und Blumen und Pflanzen wieder ihre Bedeutung auf der positiven Seite des Lebens erlangt.
Was in diesen Tagen 2020 passiert, ist unvergleichlich. Die Welt ist durch einen Virus erschüttert, die Wirtschaft liegt breitflächig brach, kein Mensch weiß, wie und wann es wieder normal weitergeht. Auch die Blumen- und Pflanzenmärkte brechen zusammen, weil die Absatzkette nicht mehr funktioniert. Die Produzenten bleiben auf ihren Erzeugnissen sitzen. In manchen Regionen sind Gartencenter und Baumärkte geschlossen und haben ihre Frühjahrsorders storniert. Andere haben ihre Bestellungen halbiert oder reduziert. Die Konsequenzen sind auch hier fatal. Die Gärtner stehen ausgerechnet in der verkaufsstärksten Saison in vollen Gewächshäusern, in den Niederlanden ebenso wie in Deutschland. In der Schweiz, wo seit Wochen die Pflanzenmärkte zu sind, ist das Sterben der Gärtner vermutlich nicht mehr aufzuhalten.
Abhängig von den Kulturen ist die Tragödie unterschiedlich dramatisch. Die Schnittblumengärtner trifft es im Mark. Manche haben mit Verlusten von über 80 Prozent zu kämpfen. Das Kapital der produzierenden Zierpflanzengärtner ist die verkaufsfähige Ware, die jetzt in hocheffizienten Gewächshäusern steht und nicht abfließt. Millionen Frühlingsblumen werden in keiner Blumenvase stehen, sie werden kompostiert. Millionen Zimmerpflanzen – von der Orchidee bis zur Primel – müssten eigentlich längst den Weg in die Handelsketten gefunden haben. Millionen vorgetriebener Narzissen stehen für die Osterdekos bereit.
Was noch einigermaßen funktioniert sind die Discounter und Supermärkte, die die Blumen und Pflanzen jetzt zu Schleuderpreisen anbieten, in der Hoffnung, dass die Hamsterer zum Klopapier einen Bund Hoffnungsschimmer mit in den Wagen packen.
Viele Blumengeschäfte sind geschlossen. Der Markt für Gartenpflanzen ist eingebrochen. Gärtner schreien laut oder unter Tränen um Hilfe und bitten auf provisorischen Webshops oder mit kontaktfreien Drive-Ins händeringend mit Supersonderangeboten um Absatz.
Facebook war an dieser Stelle noch nie so wertvoll wie heute. Nicht nur, weil es die direkte Kommunikation erlaubt, sondern auch, weil sich hier die Betroffenheit am einfachsten ausdrücken lässt und auf potenzielle Kundschaft trifft, die helfen will. Je authentischer sich der gärtnerische Betrieb äußert, umso schneller die Reaktion der Kundschaft. Ja, wir wollen die Gärtner retten, ja, wir kaufen jetzt Blumen und Pflanzen!
Der niederländische Keukenhof, seit 1949 das Jahresereignis des niederländischen Blumenzwiebelsektors, bleibt geschlossen. Die Besucherzahlen aus aller Welt wären mit den Sicherheitsvorschriften nicht vereinbar. Mit Videos im Netz versucht man der Welt zu zeigen, was in echt in diesem Jahr einfach nicht geht.
Die Eröffnung von Landesgartenschauen wurde verschoben. Die Modellgärten von Appeltern in den Niederlanden sind offen, aber man sollte besser nicht drüber reden. Es kommt kaum jemand, aber diejenigen die sich auf den Weg machen, schöpfen Energie aus den Gärten und sind sehr dankbar, denn sie sind ja auch fast allein mit dem Gartendienst, der hoffnungsvoll die 200 Gärten in Schuss hält für die Zeit danach!
Blumen und Pflanzen und Gärten sind so wichtig wie noch nie. Sie sind Grundlebensmittel. Sie helfen uns durch diese Tage. Ohne Gärtnerinnen und Gärtner gäbe es sie nicht.
Wohl dem, der in diesen Tagen einen Garten hat, in dem er oder sie leise und ungesehen vor sich hin heulen kann. Die Natur tut immerhin so, als wäre nix! Der Frühling lässt sich offensichtlich nicht aufhalten …
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