TTIP hat zwei Seiten
Die viel diskutierte und bereits seit gut zwei Jahren zwischen der EU und den USA verhandelte Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft soll der Wirtschaft in den USA und der EU Impulse geben und Arbeitsplätze schaffen, so Dr. Andrea Wälzholz, Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, auf dem WeGa-Graduiertenprogramm am 9. Juli 2015 an der Leibniz Universität Hannover.
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Bei TTIP geht es um wirtschaftliches Wachstum. Daneben soll es auch als Vorlage für weitere Abkommen mit Drittstaaten dienen. Die angestrebte Liberalisierung des Handels heißt vor allem vollständiger Zollabbau mit Ausnahme sensibler Produkte, gegenseitige Niederlassungsfreiheit und Investitionsschutz für Investoren in dem jeweils anderen Land und Anerkennung von Qualifikationen, so Wälzholz. Bei öffentlichen Ausschreibungen sollen Unternehmen beider Seiten gleichberechtigt teilhaben können.
Laut Bertelsmann-Studie soll das langfristige Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland durch TTIP um 4,7 % steigen. Demgegenüber verlieren bisherige Handelspartner inklusive Entwicklungsländer. Das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC prognostiziert, dass von TTIP vor allem Konzerne profitieren, während die Menschen dadurch Nachteile erleiden. Über 2,3 Mio. Menschen in Europa haben sich mit Stand 8. Juli 2015 mit ihrer Unterschrift gegen TTIP ausgesprochen. auf dem WeGa-Graduiertenprogramm an der Leibniz Universität Hannover.
Der Zentralverband Gartenbau (ZVG) beurteilt TTIP positiv, fordert aber gleiche Wettbewerbsbedingungen für Produkte und Dienstleistungen.
Die meisten Zölle fallen weg
Wie sich das Freihandelsabkommen auf den Markt auswirken wird, hängt eng mit den derzeitigen Zöllen der einzelnen Produkte zusammen. Importe aus Entwicklungsländern unterliegen teilweise viel günstigeren Zollkonditionen als Importe aus den USA. Industriezölle und Rohstoffzölle der EU sind überwiegend gering. Für Agrarprodukte und Lebensmittel verhängt die EU deutlich höhere Zölle.
Wälzholz nannte Zollsätze beispielsweise für Tulpenzwiebeln (5,1 %), Tulpenzwiebeln im Wachstum oder in Blüte (9,6 %), Rhododendren (8,3 %), Rosen (8,3 %), Blumenkohl (13,5 %) und Erdbeeren (12,8 %). Für Obst und Gemüse gelten außerdem für 15 Produkte Einfuhrpreisregelungen. Hier gelten Saisonregelungen und Mindesteinfuhrpreise. Weil von August bis Dezember keine billigen ausländischen Äpfel in die EU importiert werden sollen, sind die Zölle nur während dieser Zeitspanne extrem hoch. Damit hat die EU eine Regelung getroffen, preiswerte Äpfel anderer Regionen fernzuhalten, um inländische Äpfel zu fördern.
Fallen diese Zölle durch TTIP weg, ist rechnerisch mit einem etwas erhöhten Import aus den USA zu rechnen. Die Preise für das jeweilige Produkt werden bei Wegfall der Zölle fallen. Da aber Gartenbauprodukte verderblich sind, schwächt sich das Risiko wieder etwas ab. Zudem sind die USA kein Niedriglohnland, beruhigte die Referentin. Obwohl die USA tendenziell eher niedrige Zölle haben, könnten sich trotzdem in kleinen Bereichen Lücken für Gartenbauprodukte auftun.
Vorhandene Regelungen werden nicht tangiert
Wie ändern sich Bedingungen und Anforderungen für den Produzenten? Zur Beantwortung dieser Frage ging Wälzholz auf die geschützten Ursprungsbezeichnungen der EU ein. Kriterium für deren Aufnahme in Handelsabkommen sei die Marktbedeutung im Ausland.
Bei CETA, dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, sind insgesamt 14 deutsche Produkte gelistet, darunter „Spreewälder Gurken“. Sie müssen laut EU aus dem Spreewald kommen. Selbst wenn sie nach gleichem Rezept in den USA hergestellt wurden, dürfen sie diese Bezeichnung in der EU nicht tragen. Vorhandene Regelungen im EU-Markt werden durch ein Freihandelsabkommen übrigens nicht tangiert. So darf auch nach Inkrafttreten von TTIP kein „Bornheimer Spargel“ aus Kalifornien oder keine „Höri Bülle“ (rote Speisezwiebel von der Bodensee-Halbinsel Höri) aus Oregon in der EU verkauft werden.
Jedes geschützte Produkt, welches auf die Liste eines Handelsabkommens gesetzt wird, fordert auch Zugeständnisse an die Gegenseite. Also werden es niemals alle Produkte schaffen. Aber die Produkte unseres heimischen Marktes sind auf jeden Fall weiterhin durch ihre Spezialitätenbezeichnungen auf dem heimischen Markt geschützt. Die Frage bleibt, wie außerhalb unseres Marktes mit der Spezialitätenbezeichnung verfahren wird. Möglicherweise werden in den USA hergestellte „Spreewälder Gurken“ dort verkauft.
Gentechnik und Pflanzenschutzmittel
„Bestehende Gesetze und unsere Arbeitsregeln werden durch TTIP nicht geändert. Alles, was wir bisher festgeschrieben haben, bleibt“, beantwortete Wälzholz die Frage, ob Gentechnik durch TTIP bei uns verstärkt Einzug halten wird. Die USA nutzen Gentechnik als Baustein in der Züchtung, die EU sieht darin einen zu großen Eingriff.
Umstrittenes Thema bleibt das Instrument der regulatorischen Kooperation. Hierbei geht es um den frühzeitigen gegenseitigen Informationsaustausch über neue Regelungsvorhaben.
Werden neue Regeln oder Standards wie Grenzwerte für Pflanzenschutzmittel geschaffen, befürchten viele, dass Unternehmen starken Einfluss nehmen könnten. Was passiert, wenn in der EU ein Wirkstoff verboten werden soll, die USA jedoch argumentieren, dass dieser möglicherweise sogar in den USA produzierte Wirkstoff ungefährlich sei? TTIP-Gegner befürchten einen zu großen Einfluss der Industrie auf die Gesetzgebung.
Bei dem Streitpunkt Investor-Staats-Schiedsgerichte deutet sich ein Kompromiss an. Die viel kritisierten privaten Schiedsgerichte sollen durch ein neues System ersetzt werden. Das Europaparlament hat in diesem Punkt Verbesserungen gefordert.
Die Verbraucherschutzministerkonferenz lehnte 2014 einen gemeinsamen Markt mit nivellierten Standards für Lebensmittel übrigens ab. Denn die Ansätze zur Lebensmittelsicherheit in der EU und in den USA gehen von so unterschiedlichen Grundpositionen aus, dass sie auf absehbare Zeit nicht vereinbar seien. Bekannte Beispiele für unterschiedliche Positionen sind der Umgang mit Hormoneinsatz, Gentechnik, Chlorierung von Schlachtkörpern. Andererseits haben auch die USA in einigen Bereichen wesentlich striktere Vorschriften. So ist Rohmilchkäse in den USA zum Teil verboten. Das bei uns verpönte „Chlorhähnchen“ ist hingegen dort Standard, um für den Menschen gefährliche Salmonellen abzutöten. Hierzulande geht man davon aus, dass die Haltungsbedingungen der Hähnchen und die Verarbeitungshygiene Salmonellenbefall weitgehend verhindern sollen.
Aufgrund dieser erheblichen Unterschiede ist das Ziel der Angleichung von Standards bei Lebensmitteln möglicherweise kaum zu realisieren.
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