Die Folgen für die Züchter sind noch offen
Das Nagoya-Protokoll ist Damoklesschwert für die genetische Variabilität und damit für jeden Züchter und Pflanzensammler. Deshalb war dieses Stichwort auch beherrschendes Thema der Mitgliederversammlung der CIOPORA Deutschland, Gemeinschaft der Züchter vegetativ vermehrbarer Zier- und Obstpflanzen, in Hannover.
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Das Nagoya-Protokoll soll den Zugang zu genetischen Ressourcen im gerechten Vorteilsausgleich regeln und ist seit dem 12. Oktober 2014 für die derzeit 59 Protokollmitglieder, darunter die EU, nicht jedoch unter anderem die USA, Kanada, China oder Neuseeland, in Kraft. Es setzt die Vorgaben des Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity: CBD) um, einen völkerrechtlichen Vertrag zum Schutz der Biodiversität, deren nachhaltige Nutzung und einem gerechten Vorteilsausgleich zwischen Herkunftsland und Nutzer genetischen Materials zu einvernehmlich festgelegten Bedingungen. Es soll damit vermieden werden, dass zum Beispiel die Pharmaindustrie aus einem Krebsmittel aus Regenwaldpflanzen großen Profit schlägt, ohne dass das Herkunftsland einen Nutzen hat. Die gut gemeinte Idee zeigt in der Umsetzung viele Unwägbarkeiten. Das Thema wird sehr emotional in der Öffentlichkeit dargestellt, beispielsweise mit Schlagworten wie „Bio-Piraterie“ oder dem „Kampf ums Grüne Gold“.
In Deutschland gibt es noch keine Umsetzungsgesetze zum Nagoya-Protokoll, wohl aber auf EU-Ebene die Verordnung (EU) 511/2014, die sogenannte „Access and Benefit Sharing“ (ABS, Zugang zu genetischen Ressourcen und Vorteilsausgleich)-Verordnung.
Einzelheiten noch verhandelt
Marliese von den Driesch, Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, Bonn, erläuterte den Stand der Umsetzung des Nagoya-Protokolls in europäisches und deutsches Recht. Die EU hat beschlossen, die Kontrollverpflichtungen einheitlich umzusetzen und verabschiedete im April 2014 die EU-Verordnung 511/2014. Sie ist zeitgleich mit dem Nagoya-Protokoll in Kraft getreten und gilt somit seit dem 12. Oktober 2014 in den EU-Mitgliedstaaten.
Einzelheiten zur Umsetzung werden für Oktober 2015 erwartet. Ab dem 12. Oktober 2015 muss die deutsche Kontrollbehörde ihre Arbeit aufnehmen. Wahrscheinlich wird die Bundesanstalt für Naturschutz damit beauftragt.
Doch was bedeutet das für Pflanzensammler und Pflanzenzüchter in Deutschland, die genetische Ressourcen aus dem Ausland sammeln und nutzen wollen?
Was zu tun ist
Im ersten Schritt muss geprüft werden, ob die geplante Nutzung unter das Nagoya-Protokoll fällt, erläuterte von den Driesch. Die klassische Pflanzenzüchtung fällt darunter. Stammt die genetische Ressource aus einem Land, welches das Nagoya-Protokoll ratifiziert hat, muss geprüft werden, ob das Land an den Zugang Formalitäten knüpft, die erfüllt werden müssen.
Schritt 2 ist dann die Beantragung des „Prior Informed Consent“ (PIC). Der Nutzer muss sich an die auf der ABS-Clearinghouse-Site ( http://www.absch.cbd.int ) genannte Ansprechperson wenden und die Zustimmung für sein Forschungs- oder Züchtungsvorhaben beantragen. Wurde der PIC von der zuständigen Behörde des Ursprungslandes gewährt, wird die Behörde gleichzeitig mitteilen, ob in Schritt 3 „Mutually Agreed Terms“ (MAT) verhandelt werden müssen und welche Anforderungen es daran gibt. MAT sind privatrechtliche Verträge zwischen Nutzer und Ursprungsland, beispielsweise zur Gewinnbeteiligung.
Nach erfolgreicher Verhandlung von PIC und MAT trägt die zuständige Behörde des Ursprungslandes diese Informationen in ein Formular auf der ABS-CH-Website. Der MAT-Inhalt wird dabei nicht offengelegt. Mit diesem ausgefüllten Formular wird das Ganze zu einem „Internationally Recognised Certificate of Compliance“ (IRCC). Dieses Zertifikat muss der Nutzer der genetischen Ressource der nationalen Kontrollbehörde vorlegen, wenn er ein daraus resultierendes Produkt vermarktet, erklärte von den Driesch.
Kontrollen in Deutschland
Künftig wird es laut EU-Verordnung zwei Zeitpunkte geben, zu denen Nutzer eine Erklärung an die Kontrollstelle abgeben müssen, dass sie sich an die Verpflichtungen der EU-Verordnung halten. Zum einen, wenn sie öffentliche Forschungsgelder für Forschung mit Nagoya-Protokoll-relevanten genetischen Ressourcen erhalten, zum anderen, wenn sie ein darauf basierendes Produkt auf den Markt bringen.
Klar ist, dass diese Gesetzgebung nur Neuzugänge in der Züchtung betrifft. Bereits nachweisbar lange bei einem Züchter vorhandene genetische Ressourcen seien nicht davon betroffen.
Ein großer Graubereich
Unklar ist laut Dr. Birte Lorenzen, Fechner Rechtsanwälte, Hamburg, welches Material und welche Handlungen genau unter die ABS-Verordnung fallen. Klar ausgenommen von dieser Verordnung sind die unter den Internationalen Vertrag für pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (ITPGRFA) fallenden Pflanzenarten. Darunter fallen viele landwirtschaftliche und einige Obst-arten (Apfel, Erdbeere, Banane, Zitrusfrüchte). Zierpflanzen und die meisten Obstarten fallen jedoch nicht unter das ITPRFA, sondern das Nagoya-Protokoll und die ABS-Verordnung.
Auch traditionelles, sich auf genetische Ressourcen beziehendes Wissen beispielsweise von einem Medizinmann in Zusammenhang mit den Pflanzen fallen unter die Verordnung.
Die Rechtsanwältin sieht einen großen Graubereich und erhebliche Anwendungsschwierigkeiten für Züchter. Eindeutig unter die ABS-Verordnung fallen in freier Natur vorkommende Pflanzen im Herkunftsstaat. Pflanzen aus privaten Genbanken oder kommerzielle Sorten seien möglicherweise ausgenommen. Unter die ABS-Verordnung fallen das Durchführen von Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten an der Zusammensetzung genetischer Ressourcen. Damit falle die Verwendung in der Pflanzenzüchtung in jedem Fall unter die ABS-Verordnung, reine Handelstätigkeit aber nicht. Fraglich sei, ob das reine Sammeln von Pflanzen oder Zufallsfunde, die gegebenenfalls lohnenswerte und vermarktbare Produkte ergeben, hierunter fallen.
Züchter hätten sich stets zur Rechtslage im Geberstaat zu informieren, was eine nach Rechtsstaatsprinzipien schwierige Vorgabe sei. Fraglich sei zudem, wie sich ein Züchter bei Verwendung von frei verfügbarem Pflanzenmaterial, etwa auch aus Staaten, die nicht Vertragspartei des Nagoya-Protokolls sind, verhalten sollte. Wie ist Pflanzenmaterial zu beurteilen, das in Staat A frei verfügbar ist, aber eine genetische Ressource aus Staat B ist oder enthält? Was, wenn der Züchter gar nicht weiß oder wissen kann, dass in einer Pflanze Material aus dem betreffenden Staat ist? Offen bleibt ebenso die Frage, wie mit bereits eingekreuzter Genetik zu verfahren ist. Lorenzen wies zudem auf den Konflikt zwischen den Regelungen der ABS-Verordnung und der UPOV (Internationaler Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen) hin, die die Nutzung selbst sortenrechtlich geschützte Sorten zum Kreuzen zulässt (Züchtervorbehalt).
Die Empfehlungen
„Sorgfältige Dokumentationen, um den eigenen Bestand vor dem Stichtag 12. Oktober 2014, also dem Tag, an dem die ABS-Verordnung in Kraft getreten ist, nachweisen zu können“, empfiehlt die Rechtsanwältin.
Des Weiteren müssten eigene MAT entwickelt und Lizenz- und andere Nutzungsverträge angepasst werden.
„Ein Nutzer muss „mit gebotener Sorgfalt“ prüfen, ob der Zugang zu dem Material, das er nutzen will, im Einklang mit den jeweiligen rechtlichen Vorgaben erfolgt ist und dass die Vorteile ausgewogen und gerecht zu einvernehmlich festgelegten Bedingungen aufgeteilt werden“, zitierte Lorenzen die Verordnung. Bei Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zugangs oder der Nutzung müsste der Nutzer selbst PIC und MAT in den Geberländern einholen oder seine Nutzung einstellen.
Eine Definition für „Best Practices“ durch Nutzervereinigungen wäre eine Option, der Unsicherheit zu begegnen, auch hierfür seien die aktuell vorgesehenen Verfahren aber kompliziert.
Letztendlich bezeichnete Lorenzen die ABS-Verordnung der EU als politischen Prozess, in dem die Züchter möglicherweise die Leidtragenden sind. In jedem Fall sieht sie viel Verwaltungsaufwand hinter ihr und dem ersten vorliegenden Entwurf der Durchführungsverordnung. Diese Kosten würden vermutlich höher ausfallen als die Summen, die am Ende an die Geberländer fließen werden, so ihre Befürchtung.
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