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Kündigung der Tarifverträge

Saisonarbeitskräfte bekommen nicht ­automatisch mehr

Die Agrargewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) hat in einer Pressemitteilung vom 20. September 2011 darauf hingewiesen, dass sie die Tarifverträge für Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft gekündigt hat.

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Damit sei die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort umgesetzt worden.

Die Pressemitteilung könnte den Eindruck vermitteln, dass die Kündigung der Tarifverträge automatisch höhere Lohnkosten auf Arbeitgeberseite verursacht. Die Tragweite der Kündigung der Tarifverträge durch die IG Bau bleibt allerdings übersichtlich.

Seit dem 1. Mai 2011 gilt für Personen aus dem EU-8-Staaten (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen) die allgemeine Arbeitnehmerfreizügigkeit für alle Branchen in Deutschland. Bereits seit dem 1. Januar 2011 benötigen Saisonarbeitskräfte aus den EU-8-Staaten in der Land- und Forstwirtschaft und im Gartenbau keine Arbeitsgenehmigung EU mehr. Bürger dieser Staaten werden mithin deutschen Arbeitnehmern seit dem 1. Januar 2011 (oder dem 1. Mai 2011) völlig gleichgestellt. Damit entfiel auch die Verpflichtung, die von den Behörden vorgegebenen Einstellungszusagen/Arbeitsverträge auszufüllen und von den Arbeitnehmern unterzeichnen zu lassen. Den Einstellungszusagen/Arbeitsverträgen waren stets sonstige Bedingungen beigefügt, die die geltenden Tarifverträge zum Bestandteil des jeweiligen Arbeitsvertrags machten. Daher fanden die von der IG Bau mit den jeweiligen Arbeitgeberverbänden abgeschlossenen Tarifverträge Anwendung, auch wenn die Saisonarbeitskräfte nicht tarifgebunden waren.

Da die Einstellungszusagen/Arbeitsverträge nun nicht mehr zwingend zu unterzeichnen sind, kommt es auch nicht mehr zur automatischen Anwendung der Tarifverträge. Deren Anwendung scheidet auch deshalb aus, weil die Tarifverträge nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden sind.

Im aktuellen Lohntarifvertrag für Baden-Württemberg ist beispielsweise für die Verrichtung der in der Lohngruppe 1 aufgeführten Arbeiten (Tätigkeit der Erntehelfer, Pflege- und Pflanzarbeiten sowie sonstige leichte Tätigkeiten in Zusammenhang mit Ernten und deren Verrichtung) ein Entgelt in Höhe von 6,40 € pro Stunde fixiert. In der Lohngruppe 2 (körperlich schwere oder anspruchvollere Tätigkeiten) ist ein Stundensatz in Höhe von 6,80 € pro Stunde bestimmt. Mithin haben Arbeitgeber bis zum Auslaufen des gekündigten Tarifvertrags am 31. Dezember 2011 mindestens diese Löhne zu zahlen.

Die Kündigung des Tarifvertrags mit Wirkung ab dem 1. Januar 2012 führt dazu, dass Arbeitgeber nicht mehr gezwungen sind, mindestens die 6,40 € oder 6,80 € pro Stunde zu zahlen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass eine zu niedrige Lohnzahlung sittenwidrig und damit unwirksam ist, was einen Anspruch auf eine verkehrsübliche Vergütung zur Folge hat. Werden dem Arbeitnehmer weniger als zwei Drittel des üblichen Gehalts gezahlt, liegt nach der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts eine ganz erhebliche, ohne Weiteres ins Auge fallende und nicht hinnehmbare Abweichung von der regelmäßigen Vergütung und damit eine sittenwidrige Vergütung vor. Derzeit wird eine Vergütung von 4,50 € pro Stunde auf jeden Fall als sittenwidrig zu klassifizieren sein.

Eine zwangsläufige Erhöhung der Arbeitslöhne für Saisonarbeitskräfte aufgrund der Kündigung des Lohntarifvertrags, wie von der IG Bau in der Pressemitteilung dargestellt, ist nicht erkennbar. Zum einen gilt für die aus Rumänien und Bulgarien kommenden Saisonarbeitskräfte die bisherige Regelung weiter, zum anderen sind die in den bisherigen Tarifverträgen enthaltenen 6,40 € und 6,80 €/Stunde eine Größe, an der man sich weiter orientieren wird. Im Übrigen würden die gekündigten Tarifverträge zwischen dem Arbeitgeber und dem jeweiligen Arbeitnehmer nur dann zur Anwendung kommen, wenn sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer tarifgebunden, mithin der Arbeitgeber Mitglied im jeweiligen Arbeitgeberverband, der Arbeitnehmer Mitglied in der jeweiligen Gewerkschaft wäre. Die Saisonarbeitskräfte werden mit Sicherheit nicht für den Zeitraum ihrer Tätigkeit in Deutschland (meistens 50 Tage oder 2 Monate) der IG Bau beitreten.

Die von der IG Bau prognostizierte Erhöhung des Arbeitslohns wegen der Kündigung des Tarifvertrags wird also nicht zwangsläufig eintreten.

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